Gewollter Kontrollverlust

Gewollter Kontrollverlust

Über die Naziverstrickungen des frühen Bundesnachrichtendienstes unter Reinhard Gehlen wird mittlerweile in aller Öffentlichkeit gesprochen – das »Stay-behind«-Netzwerk aber bleibt weiter außen vor

Wolf Wetzel

Wenn ein Nachrichtendienst, der eigentlich als Auslandsgeheimdienst fungieren soll, Kriegsverbrecher deckt, weil seine Mitarbeiter am »Dritten Reich« nichts auszusetzen haben (bis auf dessen Zusammenbruch), wenn er bereit ist, im eigenen Land einen »illegalen Apparat« zu etablieren, »um alle Elemente zu bekämpfen, die eine pro-sowjetische Politik befürworten«, wenn er den Außenminister der eigenen Regierung »beobachtet wie einen Staatsfeind« und Spitzel im Umfeld der eigenen Regierung, diverser Ministerien, den Parteien und den großen Medien unterhält, wenn er den »Parteigeheimdienst« der regierenden Partei mit Dossiers über politische Konkurrenten versorgt, dann nennt man das dahinter stehende System einen »tiefen Staat«. In der Bundesrepublik Deutschland aber wird der Hinweis darauf zunächst als »Verschwörungsphantasie« denunziert und wenn es sich nicht mehr widerlegen lässt, achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Der Geheimdienst, von dem hier die Rede ist, nennt sich Bundesnachrichtendienst (BND) und ist, zumindest dem Gesetz nach, im Ausland tätig.

 

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Stay-Behind – eine staatlich organisierte Terrorstruktur mit “unbelasteten” Paten

Das Bundeskanzleramt und der Auslandsgeheimdienst BND haben bisher geheim gehaltene Dokumente über die Adenauer-Ära zugänglich gemacht. Zum innersten Kreis des „beliebtesten Bundeskanzler Deutschlands“ zählten ehemalige Mitglieder der NSDAP und der Wehrmacht, die alles boten: von Spitzeldiensten, über den Aufbau eines parteieigenen Geheimdienstes, bis hin zu einem inneren Staatsstreich.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem ‚nationalsozialistischen Untergrund’ der Stunde Null und dem NSU, den wir seit 2011 kennen?

Stellen Sie sich folgende Kurzfassung eines Drehbuches vor:

Nazis, die das Dritte Reich überlebt haben, werden ab Mitte der 50er Jahre als irreguläre Truppen wiederbewaffnet, um hinter den Linien gegen die „kommunistische Gefahr“ zu kämpfen. Ausgebildet und geführt werden sie von der NATO, dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Der Chef dieser irregulären Truppen wird in Deutschland der (Ex-)Nazi und Wehrmachtsoffizier Reinhard Gehlen, der nach der militärischen Niederlage des Dritten Reiches damit betraut wird, einen Auslandsgeheimdienst aufzubauen. Aus dieser ‚Organisation Gehlen’ wird später der Bundesnachrichtendienst (BND). Dieser bekommt als BND-Chef u.a. den Auftrag, das Privatleben des Staatsanwaltes Fritz Bauer auszuspionieren. Dieser will sich nicht abhalten lassen, einen Prozess gegen ehemalige KZ-Wärter zu führen. Außerdem verfolgt er eine wichtige Spur zu Adolf Eichmann, der „abgetaucht“ war. StA Bauer soll daran gehindert werden, mit lancierten Indiskretionen über sein Schwulsein und mit dem Versuch, ihm Landesverrat vorzuwerfen. Diese Vorhaben genießen hochkarätige Zustimmung und Protektion. Im Bundeskanzleramt hat man dafür den passenden Mann: Hans Globke. Dort hatte man ihn zum Kanzleramtschef gemacht. Davor gehörte Hans Globke zur Führungselite im Dritten Reich und schaffte es dort bis zum Ministerialrat im Reichsinnenministerium. Nun wird dieser Ex-Nazi damit beauftragt, das aus dem Weg zu räumen, was Bundeskanzler Konrad Adenauer für „Erbsenzählerei“ hält, tatsächlich Verfassungsrang hat: die notwendige Entnazifizierung Deutschlands.

Das Zusammenspiel von ehemaligen Nazifunktionären und „nicht belasteten“ Regierungsmitglieder funktioniert hervorragend: Man hat „unbelastete“ Demokraten, wenn man sie vorzeigen muss und man hat erfahrene Nazis, wenn man sie braucht. Und falls doch etwas nicht ganz rund läuft, hat man einen parteieigenen Geheimdienst, der potenzielle Gegner ausfindig machen und ggf. neutralisieren soll.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie beim Lesen dieses Skriptes zu folgenden Schlußfolgerungen kommen: Es ist zu holzschnitzartig, viel zu karikaturenhaft und völlig überzeichnet. Oder Sie werfen gleich das Lasso mit dem Namen „Verschwörungstheorie“ über die Angelegenheit und das Skript in den Papierkorb.

Ich verrate nicht zu viel: Im ersten Fall ist die Wirklichkeit (manchmal) blühenden Fantasien und dem antizipatorischen Vorstellungsvermögen weit voraus. Im zweiten Fall wird sich das ausgeworfene Lasso um den eigenen Hals legen.

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Tauchen Sie ein:

Publiziert auf „NachDenkSeiten“ am 1. Mai 2017: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38063

Diesen Beitrag gibt es auch als Podcast: http://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/170502_Stay-Behind_eine_staatlich_organisierte_Terrorstruktur_NDS.mp3

Die Akte General

„Die Akte General

In der Bundesrepublik der 1950er-Jahre führt der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einen einsamen Kampf gegen die Vertuschung nationalsozialistischer Verbrechen und das Wegschauen.

Damit macht er sich viele Feinde, die ihm Steine in den Weg legen. (…) Wohl wissend, dass das Interesse an der Ergreifung Adolf Eichmanns in Deutschland gering ist, versucht Bauer, den israelischen Geheimdienst zu einer Verhaftung des in Argentinien vermuteten Organisators der Massendeportationen zu bewegen.

Tatsächlich gelingt es Bauer in geheimen Verhandlungen, die Verhaftung Eichmanns durch den Mossad anzustoßen. Unterstützt vom jungen Staatsanwalt Joachim Hell lässt Bauer auch danach nicht locker: Mit Material aus den Eichmann-Vernehmungen will er ein Verfahren gegen Kanzleramtschef Hans Globke erreichen, um dessen Verstrickung in die Deportationen zu ahnden, und wagt sich damit an Adenauers engsten politischen Vertrauten.” (Filmankündigung)

Zu sehen bei 3satt am Dienstag, 22. November 2016, 21.45 Uhr

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„Der blinde Fleck“? Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 – und die Puppenspieler

Der blinde Fleck, der äußerst gut sehen kann

4.10.2016

Der Dokumentarfilm „Der Blinde Fleck“ wir heute in 3satt nochmals ausgestrahlt. Es lohnt sich, ihn anzuschauen. Dann versteht man die „blinden Flecken“ in der NSU-Aufklärung besser – vor allem die Kontinuität der „Pannen“…

Verschwörungen sind keine halluzigenen Erscheinungen, sondern eine notwendige Organisationsform krimineller und ggf. staatsterroristischer Handlungen

Parallel zum laufenden NSU-Prozess in München ist der Film ›Der blinde Fleck‹ von Autor und Regisseur Daniel Harrich ins Kino gekommen.

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Ausgangspunkt ist der Anschlag auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980, mit dreizehn Toten und über zweihundert Verletzten. Wenn es nach den Ermittlungsbehörden geht, war dieser Terroranschlag ein irres Werk eines unpolitischen Einzeltäters – bis heute. Wenn es nach den Fakten geht, dann ist dieses Ergebnis eine Quersumme aus unterschlagenen Beweismitteln, falsch gelegten Spuren und der massiven Weigerung, den politischen Kontext des ›Einzeltäters‹ und deren, die dieses Ergebnis unbedingt wollten, zu benennen.

Dieser Film, die Erinnerung an dieses mörderische Ereignis sind auf dem Hintergrund der gerade stattfindenden ›juristischen Aufarbeitung‹ der neonazistischen Mord- und Terrorserie des NSU auch so etwas wie ein Déjà-vu … vieles kommt einem so unerträglich bekannt vor:

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Fritz Bauer und eine mehr als okkupatorische Ehrung

Am 13. Mai 2016 wurde in Frankfurt ein Denkmal für Fritz Bauer eingeweiht. Berühmt wurde Fritz Bauer in den 60er Jahren, als er als Frankfurter Generalstaatsanwalt die Auschwitzprozesse gegen ehemalige Angehörige und Führer der SS-Wachmannschaft leitete. Er machte sich damals viele Feinde, nicht nur unter den ehemaligen Anhängern und Sympathisanten des „Dritten Reiches“ – was nicht anders zu erwarten war. Was Fritz Bauer verständlicherweise besonders treffen musste, war die Tatsache, dass er nicht einmal den eigenen Behörden trauen konnte – weder denen, die er anwies noch denen, der er unterstand. Die Weigerung, mit dem Generalstaatsanwalt zu kooperieren war behördenübergreifend: Das reichte von der Polizei, über die Geheimdienste, bis hin zum Innenministerium und zum Bundeskanzleramt.

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Diese deprimierende Erfahrung fasste Fritz Bauer nüchtern so zusammen: „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland.“

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Der Oktoberfestanschlag in München 1980 – Vom irren Einzeltäter und Schutz des Staatswohles

 

 

Oktoberfestanschlag im München-1980-Netz

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 liegt heute über 35 Jahre zurück, aber die Art und Weise, wie dieser damals „aufgeklärt“ wurde, kann einiges erhellen, was heute im Kontext der NSU-Terror- und Mordserie noch im Dunkel verweilt.

Gerade hat das Mitteldeutsche Rundfunk eine „Pannenchronik“ zum NSU-Komplex veröffentlicht (Verfassungsschutz und NSU – eine Pannenchronik vom 12. 5.2016), die überwiegend als einmalig bis bedauerlich qualifiziert wird. Wenn man zum Vergleich dazu die „Pannenchronik“ zum Oktoberfestanschlag in München daneben legt, wird man verblüffende Parallelen feststellen: Akten, Asservate und Beweismittel verschwinden, V-Mann-Akten bleiben verschlossen, falsche Fährten werden gelegt, wichtige Spuren unterschlagen, die Aufklärungssabotage als Staatswohl ausgelobt.

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München ereignete sich am 26. September 1980. Dreizehn Personen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt. Kurz und doch lang genug wurde dieser Anschlag der Roten Armee Fraktion/RAF zugeschrieben. Dann wurde daraus ein schrecklicher Anschlag eines verwirrten und unpolitischen Einzeltäters. Daran hielt man sich – auch ohne Fakten, denn diese machten einen neonazistischen Anschlag, der von mehreren Personen geplant und ausgeführt wurde, viel wahrscheinlicher, als die ›Einzeltäterthese‹. Auch mehrere Versuche, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen einzufordern, wurden abgewiesen. Die Weigerung, mehr als einen (toten) Täter finden zu wollen, dauerte über 30 Jahre.

Ende 2014 erklärte die Generalbundesanwaltschaft, dass sie das Ermittlungsverfahren wieder aufnehmen werde: »Es gebe nun Hinweise, die auf ›bislang unbekannte Mitwisser‹ hindeuten könnten, sagte Generalbundesanwalt Range.« (DER SPIEGEL vom 11.12.2014)

Das ist vor allem der unermüdlichen Arbeit des Opferanwaltes Werner Dietrich zu verdanken. Genau das, was Aufgabe der Ermittlungsbehörden wäre, hat er getan: Hinweisen und Zeugenaussagen zu folgen, die bis heute ›unter den Tisch fielen‹, die der Einzeltäterthese vehement widersprechen.

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 1980 läuft auf Hochtouren. Die maßgeblichen Parteien, die um die Macht ringen, stimmen ihre WählerInnen auf eine tragödienhafte Schicksalsentscheidung ein, ganz vorneweg CSU/CDU. Ihre Parole lautet nicht mehr und nicht weniger: ›Freiheit statt Sozialismus‹.

Das Gespenst des Kommunismus sollte wieder umgehen, ein Gespenst, mit dem man einen Weltkrieg begann und verlor. Ein Gespenst, das schon so verwirrt ist, dass es gar die SPD systemüberwindender Vorstellungen verdächtigte. Nun galt es wieder einmal, zusammenstehen: die Christlichen, die Nationalen, die Deutschen, die Vaterländischen, die Konservativen. Eine Einladung nach ganz rechts. Mit mörderischen Folgen.

Am 26. September 1980 explodierte im Herzen Bayern, auf dem Oktoberfest in München, eine Bombe – dieses Mal mit militärischen Sprengstoff, am Zugang zur Wiesn in einem Mülleimer deponiert, mit dem klaren Kalkül, x-beliebige BesucherInnen zu töten. Der Plan ging auf blutige Weise auf. Dreizehn Menschen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt.

Renate Martinez war Mitarbeiterin im Papierhandel. Sie hatte vor, auszuwandern und wollte mit einem Bummel über das Oktoberfest Abschied nehmen. Sie befand sich am Ausgang, »als mich die Druckwelle von hinten traf. Fast gleichzeitig konnte ich den Feuerschein sehen. (…) Ich bin geflogen, und noch im Fliegen habe ich gedacht: Das werden sie den Linken in die Schuhe schieben.« (Es war ein Alptraum, SZ vom 12.12.2014)

Renate Martinez sollte Recht behalten.

Die Spuren waren noch nicht gesichert, geschweige denn ausgewertet, da ließ der Bundeskanzelkandidat von CSU/CDU, Franz Josef Strauß die nächste Bombe platzen. Er bezichtigte die RAF des Anschlages und bot sich sogleich als der Mann an, der mit diesem ›Terror von links‹ ein für alle Mal aufräumen würde.

Sowohl die Bombe als auch die Rettervision passten in die Schicksalsinszenierung. Nur einer der Toten nicht. Bereits einen Tag später stand fest, dass sich auch ein Attentäter unter den Opfern befand: Gundolf Köhler. Seine persönliche und politische Biografie war nicht zu übersehen. Er hatte ein Hitlerbild über seinem Bett hängen. Die RAF verschwand, das Hitlerbild auch. Aus Gundolf Köhler wurde in folgenden zwei Jahren ein junger verwirrter Mann, ein Einzeltäter, der alles hatte, nur kein politisches Motiv. Das war dann auch das Ermittlungsergebnis – bis heute.

Was macht also das Wiederaufnahmeverfahren so brisant, während gleichzeitig der NSU-Prozess in München läuft, der sich der lückenlosen Aufklärung der Mord- und Terrorserie des NSU verschrieben hat?

Es gibt drei Ebenen, die sich hier ineinander schieben und sich auf verblüffende Weise überschneiden:

  1. ZeugInnen, Rechtsanwälte, Journalisten bezweifeln seit Jahren die Einzeltätertheorie und werfen den Ermittlungsbehörden vor, Spuren und Erkenntnissen nicht zu folgen, die einen neonazistischen Hintergrund belegen und die Beteiligung von mehreren Personen verifizieren.
  2. Während immer wieder unterschlagene Fakten und neue öffentlich werden, werden asservierte Beweise Zug um Zug vernichtet. Bereits ein knappes Jahr nach dem Oktoberfestanschlag werden 48 Zigarettenkippen aus Köhlers Auto entsorgt. Dann werden die sichergestellten Bombensplitter für eine spätere Beweiswürdigung vernichtet. Und als wären diese Straftaten im Amt nicht genug, verschwindet ein Arm auf unerklärliche Weise: »Die Bundesanwaltschaft bestätigte (…), dass keine Spuren des Attentats mehr vorhanden sind. ›Die Asservate wurden Ende des Jahres 1997 vernichtet, weil der Fall als aufgeklärt gilt und sämtliche Ermittlungen nach eventuellen Mittätern ergebnislos verlaufen sind‹, sagte Sprecher Frank Wallenta.« (SZ vom 17.5.2010) Begleitend und unterstützend verschwinden Akten bzw. werden unter Verschluss gehalten.
  3. Die Frage steht im Raum: Warum weigern sich staatliche Behörden so vehement dagegen, den neonazistischen Hintergrund dieses Anschlages aufzuklären? Gibt es etwas zu verteidigen, zu schützen, was weit über eine neonazistische Tat hinausreicht? Welches Motiv haben Politiker, Ermittler und Journalisten, die ›Einzeltäterthese‹ zu decken? Warum wird bis heute jeder Zusammenhang zur neonazistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ und anderen paramilitärisch organisierten Neonazis (wie den ›Deutschen Aktionsgruppen‹) geleugnet?

Was macht also diesen neonazistischen Mordanschlag in München 1980 so brisant und aktuell?

Der neonazistische Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 wirft lange Schatten – bis in die Gegenwart

Wer glaubt und hofft, vorsätzlich falsche Ermittlungen, Vernichtung von Beweisen, Falschaussagen im Amt, das (Ver-)Decken neonazistischer Strukturen und der politische und mediale Wille, all die zu schützen, beschreiben nur den NSU-VS-Komplex, der sollte sich in gutem Sinnen desillusionieren lassen.

Denn das, was (im besten Fall) als Ermittlungspannen (damals wie heute) ausgeben wird, wird eben nicht durch ›bedauerliche Zufälle‹ zusammengehalten, sondern durch die Zusammenarbeit aller Behörden und aller politischen Institutionen, die an der (Nicht-)Aufklärung beteiligt waren und sind. Die Hoffnung auf etwas Einmaliges, auf eine Vielzahl von Zufällen dient vielleicht auch dem Schutz vor der Tatsache, dass dies eine lange, ungestörte Kontinuität hat.

Kaum eindringlicher lässt sich dies am Oktoberfestanschlag in München 1980 nachzeichnen.

Aber es gibt noch eine viel wichtigere Überschneidung. Im NSU-Kontext kann man an Details belegen, wo und wie staatliche Behörden den Aufbau eines neonazistischen Untergrundes ermöglicht bzw. nicht verhindert haben. Ob diese vielen Puzzles ein Bild ergeben, ob sie nur ›spontan‹ zusammenwirken oder eine Systematik abbilden, ist noch offen. Auch die Frage, ob und wann staatliches Handeln zentral veranlasst, koordiniert und gedeckt wurde (wie z.B. die Aktenvernichtungen in allen Behörden ab November 2011)?

Die Linie zwischen aktiver Unterlassung und passiver Aktivierung eines neonazistischen Untergrundes, zwischen aktivem Gewährenlassen und direkter Unterstützung ist im NSU-Kontext schwer zu ziehen, vor allem im Hinblick auf den Gesamtkomplex.

Ganz anders sieht es hingegen mit dem neonazistischen Terror der 70er und 80er Jahre aus. Was auch damals als schriller Alarmismus und blanke Verschwörungstheorie abgetan wurde, trägt spätestens seit 2013 ein staatliches Hoheitssiegel: Seit über 40 Jahren wurden neonazistische Gruppierungen als legale und terroristische Variante gestärkt und gedeckt und in einen staatlichen Untergrund integriert. Dieser staatseigene Untergrund bekam den Namen ›stay behind‹. Bewaffnet, angeleitet und instruiert wurde er vom Bundesnachrichtendienst/BND.

Das hört sich auch heute noch ungeheuerlich an. Man fühlt sich gleichzeitig an die ›Banalität des Bösen‹ (Hannah Arndt) erinnert, wenn man dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE liest, die im Plenarprotokoll 17/236 dokumentiert ist. Auf die parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE), »welche eigenen Anstrengungen (…) die Bundesregierung in den letzten 20 Jahren unternommen (hat), um die Beteiligung ihrer Behörden an weiteren Tätigkeiten der besagten ›Gladio/Stay behind‹-Truppe der NATO auszuschließen oder zu bestätigen«, erklärte der Staatsminister Eckard von Klaeden:

»Infolge der weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991 die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.« (Plenarprotokoll 17/236, Anlage Nr.15, S. 64 vom 24.4.2013)

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Von Gladio bis NSU – wieviel Staat steckt im neonazistischen Untergrund?

Es gibt ein recht gelungene Text- und Bildstrecke, die blitzlichtartig die verschiedenen Stationen von „Gladio“ bis „NSU“ beleuchtet und mit markanten Quellen und Hinweisen unterlegt.

Was bereits in den 70er Jahren als schriller Alarmismus und blanke Verschwörungstheorie abgetan wurde, trägt spätestens seit 1999 ein staatliches Hoheitssiegel: Seit über 40 Jahren wurden neonazistische Gruppierungen als legale und terroristische Variante gestärkt und gedeckt und in einen staatlichen Untergrund integriert. Dieser staatseigene Untergrund bekam den Namen ›stay behind‹. Bewaffnet, angeleitet und instruiert wurde er vom Bundesnachrichtendienst/BND. In Italien bekam dieser staatseigenen Untergrund den Namen „Gladio“ … in Anspielung auf das römische Kurzschwert, das man bevorzugt im Nahkampf einsetzte…

Was diese stay-behind-Terrorgruppen in Deutschland gemacht haben, welche neonazistischen Gruppierungen darin eingebunden, an welchen Verbrechen sie beteiligt waren, ist bis heute so unaufgeklärt, wie die Terror-und Mordserie des NSU:

Staat und Nazis Hand in Hand

19.5.2016 | Veranstaltung in Marburg |Der Rechtsstaat im Untergrund – Von Gladio bis zum NSU-Komplex

19.5.2016 | Veranstaltung in Marburg |Der Rechtsstaat im Untergrund – Von Gladio bis zum NSU-Komplex

 DGB-Haus Marburg, Bahnhofstr. 6 | 19.5.2016 |19.30 Uhr

 Flyer Vorderseite - Rechtsstaat im Untergrund-Matburg-2016

Der Prozess zur Aufklärung der Terror- und Mordserie des NSU läuft nun seit drei Jahren. Ein Ende ist nicht absehbar.

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Alles Müller oder was?

Der Schornsteinfeger und der Meister der Verschwörungstheorie

Dreizehn Jahre lang wollen die bestens ausgerüsteten Geheimdienste (BfV/BND/MAD) von der Existenz eines neonazistischen Untergrundes namens ›NSU‹ nichts gewusst haben. Auch über 40 namentlich bekannte V-Leute im Nahbereich des ›NSU‹ sollen nach dem Willen der Geheimdienste nichts gewusst haben, selbst dann nicht, als der V-Mann des BfV Thomas Richter mit Deckname ›Corelli‹ im Jahr 2002 ein Grußwort an den NSU  veröffentlicht hatte: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter …«

All das wurde von den marktbeherrschenden Medien ohne einen Zweifel hingenommen, ohne kritische Nachfragen übernommen, bis hin zur rassistischen Klassifizierung der Mordserie als ›Dönermorde‹.

 

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Es gab nicht viele, die dieser Version widersprochen hatten. Zu den wenigen zählte die AufruferInnen zur Demonstration 2006 in Kassel, nachdem der Internetbesitzer Halit Yozgat ermordet wurde. Auf ihren Banner schrieben sie: »Kein 10. Opfer«.
Man ignorierte, man verschwieg freiheitlich und ohne Zensur diesen Widerspruch. Auch die Linke machte da keine Ausnahme.
Nun steht fest, dass die Ermittlungsbehörden 13 Jahre lang in die falsche Richtung ermittelt haben, dass ihre Ergebnisse falsch und manipuliert waren. Die Medien bedauerten diesen Kniefall vor polizeilichen Ermittlungsergebnissen und mahnten sich und andere zur kritischen Distanz.
Seit 2012 wissen wir, dass alles, was in die falsche Richtung geführt hatte, was den neonazistischen Terror ungehindert hat gewähren lassen, Pannen und bedauerlichen Zufällen geschuldet ist.

Wieder sind die marktführenden Medien dabei, diese Version zu übernehmen. Wer diesem System der Zufälle widerspricht, wird in die Ausnüchterungszelle für Verschwörungstheoretiker gesteckt. Doch das ist nicht nur ein Problem der Medien. Es ist auch ein Problem der Linken.
Selbstverständlich haben auch sie Zweifel an der offiziellen Version. Das hört sich z.B. bei Fritz Burschel, der als Referent für Rechtsextremismus bei der Rosa Luxemburg Stiftung arbeitet, dann so an: »Er hat ja so recht …« Das war natürlich zynisch gemeint. Denn wenig später denunziert er die Überlegungen und Schlussfolgerungen, die der Zufall- und Pannentheorie widersprechen, als »Verschwörungstheorie«.
Seine diesbezügliche Einschätzung habe ich als Beitrag:
https://wolfwetzel.wordpress.com/2015/12/04/tiefer-staat-oder-doch-wachkoma-eine-rezension-von-friedrich-burschel/
veröffentlicht.

Nun folgt meine Antwort darauf, denn es geht um kein persönliches Problem, sondern um ein sehr politisches! Sich in die Reihe der Zweifler einzureihen, gehört heute zum guten Ton, wenn man nicht hinter das mittlerweile eingestandene ›Staatsversagen‹ zurückfallen will.
Wenn ein Staatsversagen eingeräumt wird, ist die Annahme nicht verwegen, festzuhalten, dass ein solches Staatsversagen nicht 13 Jahre lang zufällig und überall, in allen Bundesländern und auf allen Hierarchieebenen passieren kann? Sich diesen Fragen zu stellen, um nach möglichen Antworten zu suchen, wäre Aufgabe einer Linken, die – bei allen Unterschieden – Herrschafts- und Ideologiekritik (also auch Staatskritik) als gemeinsames Instrumentarium nutzt.
Das müsste für eine Linke eine Herzensangelegenheit sein, vor allem dann, wenn sie weiß, dass an zahlreichen Stellen des NSU-VS-Komplexes eine Aufklärung sabotiert wird, aus Gründen des Staatswohls, das der ehemalige Vize-Chef des Geheimdienstes Klaus-Dieter Fritsche bereits 2012 in Anschlag gebracht hatte:

»Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. (…) Es gilt der Grundsatz ›Kenntnis nur wenn nötig‹. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.«

Welche Staatsgeheimnisse sollen geschützt werden, wenn es um die Aufklärung der NSU-Terror- und Mordserie geht? Was könnte und würde ›Regierungshandeln‹ erschweren? Und was verraten unter Verschluss gehaltene V-Mann-Akten, wenn diese doch nichts gewusst haben?
Eigentlich macht es genau dieser ehemalige Vize-Geheimdienstchef – auch der Linken – sehr einfach, sich von der Zufall- und Pannentheorie zu verabschieden … und der Spur zu folgen, die Fritsche gelegt hat.
Ob diese Spurensuche in die Irre führt oder in 20 Jahre wieder so lapidar abgehakt wird, wie nach der 13 Jahre währenden Ahnungslosigkeit, wird man sehen. Aber es ist gerade Aufgabe der Linken, dieser Spur zu folgen, anstatt mit vielen Schwingern ins Leere zu schlagen.

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Tiefer Staat‹ oder doch Wachkoma – Eine Rezension von Friedrich Burschel

Friedrich Burschel ist Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, für den nicht-kommerziellen Lokalsender Radio LOTTE Weimar tätig und bei NSU-Watch ständiger Beobachter des NSU-Prozesses in München. Für den Blog antifra* hat er das Buch rezensiert:
Wetzel, Wolf: Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU–Komplex und die notwendige Illoyalität

»Rezension: ›Tiefer Staat‹ oder doch Wachkoma?

Von Friedrich Burschel | 6.11.2015
Er hat ja so recht, der Wolf Wetzel! Nein, im Ernst, wenn er schreibt: „Nehmen wir einmal an, dass die Geheimdienste 13 Jahre von der Existenz des NSU nichts gewusst haben und Jahrzehnte nichts von den systematischen Ausspähungen britischer und US-amerikanischer Geheimdienste … Für diese systematische Ahnungslosigkeit muss man keine Milliarden Euro ausgeben!“ (S. 25), dann hat er einfach recht. Er hat überhaupt fast durchgehend recht, auch wenn nicht viel neues in seinem jüngsten Kompendium „Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität“ zu finden ist.
Die Leistung des Buches, das sich auch rasch wegliest …

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