50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Was ist daran Kritik und was Antisemitismus?

Von Wolf Wetzel

Für den 9. und 10. Juni 2017 haben die ärztliche Friedensorganisation IPPNW und der „Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel“ zu einer Jahrestagung des Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) in Frankfurt eingeladen. Thema ist: „50 Jahre israelische Besatzung in Palästina“.

Großbaustelle Erez

Im Rahmen dieser Tagung werden u.a. Prof. Moshe Zuckermann (Historiker Uni Tel Aviv/Israel), Prof. Illan Pappe (Historiker Universität Exeter/GB), Jamal Juma´a (Soziologe), Prof. Norman Paech (Völkerrechtler Uni Hamburg) und Iris Hefets (Psychoanalytikerin, Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden) sprechen. Intension dieses Kongresses ist es, über die aktuelle Situation in den besetzten Gebieten und in Israel selbst zu berichten und über mögliche Perspektiven, die Besatzung und den Kriegszustand zu beenden.

Dagegen haben sich einige Gruppen und Einzelpersonen gewandt. Über 200 Mails und Drohungen gingen ein. Das Tagungshaus „Ka Eins“ wurde aufgefordert, die Vermietung der Räume zurückzunehmen. Dem schloss sich der ChristminusDemokrat Becker in Funktion als Bürgermeister an, bezeichnete die Tagung und ihr Ziel „antisemitische Stimmungsmache“ und gab dann den „Rat“, die Vermietung der Räume zu „überdenken“. Die Geschäftsführung des Tagungshauses gab auf bzw. nach, und kündigte den Veranstaltern die Räume. Diese klagten gegen diese Kündigung und bekamen vor dem Amtsgericht Recht. Die Konferenz wird stattfinden.

Nun fragt man sich oder reibt sich nur noch die Augen, was an dieser Veranstaltung „verbotswürdig“ ist?

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Der 2. Juni 1967. Die Erschießung von Benno Ohnesorg in Berlin oder: Wenn Geschichte zum Ersatzteillager für Herrschaftspolitik wird

von Wolf Wetzel/Rubikon

Dass die Herrschenden ihre eigene Geschichte frisieren, ist naheliegend und Teil ihrer „Erinnerungskultur“. Besonders abstoßend wird es jedoch, wenn sie sich der oppositionellen Geschichte bemächtigen und der Zerschlagung noch politische Grabschändung hinzufügen.

Zum 50. Jahrestag

Zu einem wichtigen Marker in der Geschichte deutscher Oppositionsgeschichte gehört unstrittig der 2. Juni 1967, die Ermordung des Schahgegners Benno Ohnesorg in einem Hinterhof Berlins durch einen Staatsschutzbeamten.

Ohnesorg a la BILD

Die Ermordung eines Schahgegners, die Unterstützung des diktatorischen Schahregimes in Persien durch die deutsche Bundesregierung, das Gewährenlassen von schahtreuen Schlägern in Berlin, das Decken des Mörders durch seine Vorgesetzten, wird gemeinhin als ein Auslöser der 68er-Revolte bezeichnet. An diesem Tag kam – auf tödliche Weise – alles zusammen, was sich mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1948 wie ein roter, also brauner Faden durchzieht.

Allgemein und mit großer Medienmacht werden der Mord an Benno Ohnesorg und die 68er-Revolte so gelesen:

Man habe aus dem „Staatsversagen“ gelernt und in Folge der 68er-Revolte wäre es zu einem grundlegenden Wandel des autoritätshörigen Nachkriegsdeutschlands gekommen. Gern aufgerufene Kronzeugen sind dabei in der Mitte angekommene 68er, die mit ihrem Protest eine „in obrigkeitsstaatlichen Verhaltensweisen erstarrte Gesellschaft umgepflügt“ (Christian Semler, TAZ) oder – weniger erdig, geradezu himmlisch – „von Grund auf zivilisiert“ (Ex-Bundestagsvizepräsidentin Vollmar/Grüne) haben wollen.

Unsere Leserinnen und Leser mögen diesen ‚Schlußstrich’, der zum 50. Jahrestag noch dicker gezogen wird, an nur zwei Prüfsteinen messen:

Wie ist heute das Verhältnis staatstragender Parteien zu Diktaturen?

Was haben die Institutionen aus dem „Staatsversagen“ gelernt, wenn man dies mit ihrem Agieren im NSU-VS-Komplex vergleicht?

weiterlesen: Staatlicher Mord

https://www.rubikon.news/artikel/staatlicher-mord

Wer sich noch ein wenig in die Geschichte der 68er Revolte einlesen will, sei der Text aus oben genanntem Buch empfohlen:

68 als Staatsbegräbnis

Der Journalist Uwe Soukup veröffentlichte 2017 die überarbeitete Version seines Standard-Werkes zum Tod von Benno Ohnesorg unter dem Titel „Der 2. Juni 1967 – Ein Schuss, der die Republik veränderte“ und wirkte an dem Dokumentarfilm „Wie starb Benno Ohnesorg?“ mit, der am 29. Mai 2017 um 23:45 Uhr in der ARD ausgestrahlt wurde. Ein Film von Klaus Gietinger, Margot Overath und Uwe Soukup, Koproduktion des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) und des Hessischen Rundfunks (HR), 2017

Ein sehr ausführliches Interview mit Uwe Soukup findet sich auf KemFM: https://kenfm.de/uwe-soukup/

 

 

19. August 2014 – Dokumentarfilm und Diskussion |München 1970 – als der Terror zu uns kam

Dienstag, 19.August 2014 19.30 Uhr, Naxoshalle, Frankfurt

München 1970 – als der Terror zu uns kam‹ | Dokumentarfilm von Georg M. Hafner

Im Anschluss daran eine Filmdiskussion mit Publizist und Autor Wolf Wetzel |Die Hunde bellen … Von A bis ®Z – Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfen der 70er bis 90er Jahre, Unrast Verlag 2001

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Die Geschichte der militanten Kämpfe – von A bis (R)Z – von 1968 – 2000

2001 brachten wir als autonome L.U.P.U.S.- Gruppe das Buch heraus:

Die Hunde bellen … von A bis (R)Z – Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre

Nun ist die Auflage verkauft, das Buch im Antiquariat, aber noch ist das nicht das Ende.

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7.7.2010 – In Gedenken an Fritz Teufel

„Wenn‘ s der Wahheitsfindung dient…“  … ein B-libi

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Interview mit dem ehemaligen RZ-Mitglied Gerd Schnepel aus dem Jahr 2001

Interview mit dem ehemaligen RZ-Mitglied Gerd Schnepel aus dem Jahr 2001

1. Was waren Deine ersten politischen Erfahrungen? Gab es in dieser Zeit bestimmte Ereignisse, die Dich geprägt haben?
Meinst Du wirklich meine ersten? Mit 14 habe ich Ollenhauer-Pakate abgerissen und Adenauer-Plakate gemalt und aufgehängt … Mein Vater hatte aus seiner NSDAP-Mitläuferschaft gelernt und wurde ein Sympathisant von Jochen Steffen und der Schleswig-Holsteinischen SPD. 1962 gründete ich den Ortsverband Albersdorf/Dithmarschen der Jungen Union (JU) und blieb bis 1965 CDU-Mitglied. Meine Freunde in der JU und ich, aus der Ev. Jugend kommend, nahmen das wörtlich mit dem C im Parteinamen; daher waren wir in der CDU Dithmarschen und stießen natürlich mit der Partei und ihrer Realität ständig zusammen. Wir waren die linkeste JU in SH, machten (Werbe-)Veranstaltungen mit dem VK (Verband der Kriegsdienstgegner) und gegen die Berufsvertriebenen und Altnazis etc. Der Bruch kam, als mir auf dem CDU-Parteitag das Wort entzogen wurde, weil doch “schließlich ein Pazifist nicht auf einem CDU-Parteitag reden” könne. Dadurch hatte ich die Chance, meinen historischen Irrtum zu korrigieren, und merkte bald, dass meine Vorstellungen von Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden auf der linken Seite des Spektrums wesentlich besser aufgehoben waren. So beteiligte ich mich 1964 am Ostermarsch der Atomwaffengegner und gründete 1967 den SDS Erlangen.

2. Vom SDS Erlangen zur RZ ist es kein Katzensprung. War dies einem persönlicher ‚Zufall‘ geschuldet oder hast Du Dich an einem bestimmten Punkt bewusst auf den Weg gemacht, solche Leute zu finden?
Beides – auf der einen Seite zerfiel unsere geliebte 68-er-Bewegung in ‚kommunistische‘ Miniparteien, in komplett der Theorie Verfallene und Karrieremacher und Augen-zu-und-durch/Langer Marsch-Menschen. Und ich dachte, das kann es doch nicht gewesen sein: Radikalste Gesellschaftskritik seit Jahrzehnten, in Wort und Tat (vor allem in Frankreich und Deutschland) und jetzt zur Tagesordnung übergehen. Ich dachte, dass Widerstand, Ent-Rüstung und Engagement gegen den weltweiten Kapitalismus doch nicht aufgrund dieser Abwärtsentwicklung der Bewegung aufgegeben werden können, sondern dass das zunächst christlich motivierte, pazifistische und emanzipatorische Bewusstsein und Gewissen nach neuen Wegen suchen müsse. Die RZ-Gründungsmenschen dachten ähnlich. So fanden wir uns, zumal wir fast alle anfangs aus dem linken Buchhandel kamen, am Anfang. (Offenbar galt: Lesen bildet!)

3. Als Du Dich dem RZ-Konzept angeschlossen hast, gab es ja verschiedene andere politische Gruppen, die ein militantes Konzept vertraten. Gab es für Dich gewichtige Gründe, warum diese Gruppen für Dich nicht infrage kamen?
Die RAF war mir mit ihren abgehobenen Theoriepapieren, dogmatischen Floskeln und Regeln sehr, sehr fern. Der ‚2.Juni‘ war Berlin, und das immer und überall arrogante Berlin samt Inhalt konnten wir in Franken schon seit 1967 nicht ausstehen … RZ war einfach ‚das richtige‘, das beste und logischste Konzept, für das man sich einsetzen konnte: Mit tollen Leuten ‚heiße Sache‘ machen, die auch Spaß machten und gute Gefühle hinterließen.

4. Kannst Du erzählen, wann Du genau zur RZ dazugestoßen bist und was Du bis zur OPEC-Aktion gemacht hast?
Im Frühjahr 1975 fingen wir an miteinander zu sprechen, und das ging auch das ganze Jahr 1975 weiter. In diesem Jahr habe ich viel Zeit am Lenkrad verbracht, wenn wir durch ganz Europa kutschierten (100.000 Kilometer in einem Jahr, plus 100.000 Flug-Meilen). Auch beim „Revolutionären Zorn“, unserer Zeitung, habe ich mitgewirkt, und in Nürnberg das SEL-Gebäude ausgekundschaftet, um die Routine des Personals auszuspähen, damit ja nicht Hausmeister, Nachtwächter oder Putzfrauen bei einem möglichen Anschlag anwesend sind.

5. Hans-Joachim Klein sagt, dass mit dem zweiten Teil der OPEC-Aktion das Ziel verfolgt wurde, im Austausch der jeweiligen Erdölminister eine pro-palästinensische Erklärung in den betreffenden arabischen Ländern zu veröffentlichen. Weißt Du, warum diese Absicht fallen gelassen wurde?
Nein. Ich kenne nur ein Gerücht, dass Algerien (als Flugzielland damals) sagte, man könne es sich als Mitglied in der Arabischen Liga politisch nicht leisten, die Aktion mit einem erneuten Start von Algerien aus zu unterstützen. Dann wurde diesem Gerücht zufolge verhandelt, was mit der Freilassung aller Minister incl. des iranischen endete, dem Schlächter und Folterer des Reza Pahlewi-Geheimdienstes SAVAK.

6. Nach ein paar Wochen im PFLP-Lager in Südjemen wurde Hans-Joachim Klein in eine kleine Hütte im Aostatal/Italien gebracht. Du hast im Prozess gesagt, dass Du ihn betreut hast. Kannst Du sagen, wie das aussah?
Wir erfuhren in Deutschland, dass ‚Angie‘ wieder in Europa ist und Unterstützung im Untergrund braucht, was er vorher in Arabien einfacher erhalten hatte. Ich weiß nur noch, dass wir ihn in der von uns angemieteten Hütte besuchten, viel über die Szene in Deutschland erzählten, und er, wie es ihm so ging (bzw. wie er behauptete, dass es ihm ginge). Wir brachten Zeitungen, Bücher, Schokolade, Zigaretten und ähnliche Mitbringsel und auf seinen dringenden persönlichen Wunsch auch eine Pistole oder einen Revolver.

7. Hans-Joachim Klein hat im Prozess die in seinem Buch aufgestellte Behauptung wiederholt, er wäre dort ‚bedroht‘ worden. Er habe ein Treffen mit Johannes Weinrich (‚Steve‘) vereinbart, doch dieser wäre nicht alleine gekommen: Als ‚Steve‘ und er in Richtung Dorf gingen, sah Hans-Joachim Klein „das Auto der RZ. Als ich schon mitten auf der Brücke war … wollte einer (es war ‚Max‘) aus dem Auto raus … Ich ging in Deckung … Ich hatte inzwischen noch eine zweite Person am Wagen ausgemacht.“ Daraufhin habe er fluchtartig die Hütte verlassen. In diesem Zusammenhang behauptete er vor Gericht, dass jener ‚Max‘ Rudolf Schindler gewesen sei. Hast Du davon noch etwas in Erinnerung?
Das Treffen war zwischen ihm, ‘Steve‘ und mir. Wir drei gingen durchs Dorf, und er sah oben an der Straße mein privates Auto (weißer Volvo), in dem noch jemand saß. Die dort Sitzende, Eva Wollrab, hat dies auch vor Gericht bestätigt. Die ganze Bedrohung, die Gründe für seine Flucht waren ja nur in Hans Joachims Kopf, wir ahnten sie nicht.

8. Machst Du Dir einen Reim darauf, dass Hans-Joachim Klein Rudolf Schindler den Decknamen ‚Max‘ gegeben hat, obwohl er Dich mit diesem Decknamen kennengelernt hat?
Mein „Reim“ ist, dass ihm die Polizei Strafmilderung in Aussicht gestellt hat, wenn was Verwertbares rüberkommt. Einzig Verwertbares schien ihnen wohl Rudolf Schindler zu sein. Also hat er – in immer neuen Varianten- diesen Vorschlag der Ermittler aufgegriffen und Rudolf, wie wir aus dem Verfahren wissen, in teils abenteuerlichen Aussagezickzacks beschuldigt.

9. Hans-Joachim Klein hat in seinem Buch geschrieben, dass die RZ ihm misstraut habe, als er vorgab, eine ‚eigene Gruppe aufzumachen‘. Warum hat sich dennoch die RZ entschieden, ihm eine Waffe zu besorgen, die Du ihm gebracht hast?
An die „eigene Gruppe“ kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ‚Steve‘ und ich eher belustigt gesagt haben: Mann, jetzt will er auch noch ’ne Knarre gebracht haben, was neben dem Aufwand für uns auch ein gewisses Risiko in sich barg. Aber da ‚Angie‘ (Hans-Joachim Klein) nun mal darauf beharrte, als Untergetauchter bewaffnet zu sein, haben wir ihm den Gefallen getan.

10. Mit dem Ausstieg von Hans-Joachim Klein starteten die Frankfurter Spontis 1977 im Pflasterstrand die ‚Jemand‘-Kampagne und drohten damit, Leute zu verraten, die sie für Mitglieder in bewaffneten Gruppen hielten: „Wir kennen viele Namen. Wir würden nicht davor zurückschrecken, sie zu nennen.“ Wie konkret war die Gefahr damals für euch, da ihr wohl zurecht davon ausgehen konntet, dass die ‚Jemand’s‘ (zu denen sich einige Sponti-Wortführer zählten, wie Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Tom Koenigs und Ralf Scheffler) tatsächlich wussten oder ahnten, wer für RZ-Politik in Frankfurt steht. Makabrerweise tut der heutige Außenminister Joschka Fischer so, als habe er von den RZ nie etwas gewusst? Kannst Du zu dieser Kampagne etwas Genaueres sagen?
Ich weiß nur, dass wir die Drohung nicht sonderlich ernst nahmen. Zum einen hatten wir nichts vor, weswegen sie ihre Drohungen hätten ernst machen ‚müssen‘. Zum anderen kannten einige von uns auch Leute bei ihnen, die vorher Unterstützer, wenn nicht sogar Mitglieder gewesen waren. Also ein bisschen Patt war schon dabei!

11. 1980 hast Du Dich mit Daniel-Cohn Bendit getroffen, um über Hans-Joachim Kleins Ausstieg zu reden. Wie ist das Gespräch verlaufen?
Ich habe ihn aus eigener Initiative aufgesucht. Ich hielt Daniel damals für einen solidarischen, ehrlichen Linken, mit dem ich einen Grundkonsens teile. Und daher habe ich ihm erklärt, was Hans-Joachim Klein Falsches verbreitet und ihn (naiverweise?) gebeten, auf Hans-Joachim einzuwirken, dass er zu einer anderen Ebene der Auseinandersetzung zurückfindet.

12. Wurde Dir von Daniel Cohn-Bendit zugesichert, dass Hans-Joachim Klein von diesem Gespräch unterrichtet wird?
Es kam so was Joviales rüber wie: „Wir kennen doch beide den Klein, und dass man nicht alles, was der sagt auf die Goldwaage legen dürfe, sei doch uns beiden klar. Und, man werde mal gucken …“

13. Im OPEC-Prozeß wurden auch Unterlagen der Stasi ausgewertet, die der BRD nach der ‚Wiedervereinigung‘ in die Hände gefallen sind. U.a. auch Dokumente von Geheimdiensten ehemaliger Ostblockstaaten. Wusstet ihr damals bereits, dass die euch gewährte ‚Gastfreundschaft‘ immer auch dazu genutzt wurde, euch zu observieren, abzuhören etc.? Wie erklärst Du Dir den Spagat, auf der einen Seite Unterstützung zu bekommen, im Kampf gegen den gemeinsamen Feind (Imperialismus) und auf der anderen Seite selbst wie ein ‚Feind‘ behandelt zu werden?
Sie behandelten uns ja nicht als Feinde, nur gehörte in ihrer Welt dazu, alles wissen zu müssen, zu wollen. Sie hörten sich ja auch selbst ab, sicherlich! Die Stasi in ihrem Wahn wollte allwissend sein. Als feindlichen Akt habe ich das nicht begriffen, obwohl andererseits die Sache – historisch betrachtet – auf Feindschaft hinausläuft: siehe Spanischer Bürgerkrieg, wo die ‚Kommunisten‘ den freiheitlichen Kämpferinnen und Kämpfern – zumeist Anarchisten, Anarchosyndikalisten bewusst Schaden zufügten, sie auf ‚Todeskommandos‘ schickten etc. Aber da unser gemeinsamer Feind ja recht zählebig war und ist, ist unser ‚Alliierter‘ – gewisse Kreise im Osten – ja vorher verstorben.

14. Im OPEC-Prozess wurde eine dieser Dokumente aus Stasi-Beständen eingeführt. Eine handschriftliche Notiz, die ein Schriftsachverständiger auch eindeutig Dir zuordnete. Der Wortlaut war ungefähr so: „Wir haben Kontakt zu ‚Angie'( Hans-Joachim Klein). Er will aussteigen und eine eigene Gruppe aufmachen…“ Kannst Du erzählen, in welchem Land ihr da ward und unter welchen Umständen diese Notiz zustande gekommen ist?
Ich weiß nur noch, dass es eine Notiz für Wadi Haddad war, aber sonstige Details der Einordnung weiß ich nicht mehr. Ich war auch verblüfft, einen Brief, der auf dem Schreibtisch von Wadi Haddad gelegen war, im Frankfurter Gerichtssaal zu sehen, 23 Jahre später!

15. Du hattest 1977 ein Verfahren am Hals. Um was ging es da?
Das war sicher das Gerichtsverfahren gegen mich als ehemaligen Geschäftsführer der Politladen GmbH in Gaiganz, Oberfranken. Wegen Verunglimpfung der BRD (wir hatten legal ein Buch gedruckt, in dem ein Prof. Sigrist Andreas Baader zitierte, der wiederum die BRD verunglimpfte) und Verkauf des Anarchistischen Kochbuches (die engl. Ausgabe gab es in der Uni-Buchhandlung Erlangen) bekam ich zwei Jahre ohne Bewährung. BGH Karlsruhe kassierte das Urteil ersatzlos wegen Formfehlern der fränkischen Richter.

16. Was hast Du von der Flugzeugentführung nach Entebbe mitbekommen? Und wie habt ihr das Scheitern dieser Aktion verarbeitet. Es gab ja nicht nur massive Kritik an dem ‚Mittel‘ Flugzeugentführung, sondern auch an der Beteiligung von deutschen Militanten (Wilfried Boese und Brigitte Kuhlmann) an der ‚Selektion‘ von jüdischen und nicht-jüdischen Passagieren. Darauf beharrt z.B. auch die RZ in ihrer Erklärung 1990: ‚Gerd Albartus ist tot‘.
Ich hörte im hessischen Radio „live“, wie die Israelis meine Freundin erschossen, und unseren Compañero Boni, die beide im Übrigen keine Geiseln umbrachten, obwohl sie dazu noch reichlich Zeit gehabt hatten. So naiv es heute vielleicht klingt – im Lichte der weiteren Aufhellung deutscher (die Zwangsarbeiter-Firmen!), schweizer (Banken!) und US-amerikanischer (IBM!) Verbrechen in den 30er und 40er-Jahren – haben wir damals – sehr stark zusammengefasst – diese möglichen Effekte ignoriert. Der psychologische Hintergrund für die Naivität oder das fehlende Gespür, wie die Medien und ‚der Feind‘ solche Dinge inszenieren, war, dass unser Engagement gegen Nazideutschland und gegen das kapitalistische und immer noch stark nazidurchgiftete Nachkriegsdeutschland so selbstverständlich war, dass uns jeder Antisemitismusvorwurf als bösartig und absolut taktisch motiviert erschienen ist. Zudem muss man bedenken, dass die meisten von uns aus einer pro-israelischen Einstellung kamen. Brigitte sagte, lass sie diesen Quatsch unter sich breittreten, in der ‚Bild‘‚ ‚Welt‘ etc.. Wir haben damit nichts zu tun. Bei diesem Kampf handelt sich um die Unterstützung des emanzipatorischen Widerstandskampfes eines unterdrückten, verratenen und verkauften Volkes, der Palästinenser, gegen eine arrogante, repressive, gewalttätige bis rassistische Regierung in Tel Aviv, zudem Vorposten der USA im Nahen Osten. Natürlich hat diese Regierung jede Gelegenheit genutzt, Kritik an ihnen als antisemitisch zu brandmarken. Wir sahen uns darüber stehend: da wir keine Antisemiten waren, nichts lag uns ferner, konnte jeder Vorwurf dieser Art nur üble Propaganda sein. Dass diese auch bei gutwilligen Menschen verfangen würde, haben wir damals sicher unterschätzt. Wadi Haddad hat – wie andere Theoretiker und Praktiker vor und nach ihm – das Prinzip verfolgt, dass es „Unschuldige nicht gibt“, und daher hat er die aussuchen lassen, mit denen er den größten Druck auf die Regierungen in Bonn, Tel Aviv etc. ausüben zu können glaubte. Die deutsche, nazistische Verbrechensvergangenheit hatte für ihn als palästinensischen Guerillero im Kampf gegen seine Unterdrücker kaum eine Bedeutung.

17. Zu dem Vorwurf des Antisemitismus an die beiden RZ-Mitglieder, die an der Flugzeugentführung beteiligt waren, sagtest Du, dass ihr die Wirkung der feindlichen Propaganda auch „gutwilligen Menschen“ gegenüber unterschätzt habt. Das ist eine Sache. Für mich heute ist die Tatsache viel schwerwiegender, dass der palästinensische Befreiungskampf, die darin eingebettete Flugzeugentführung unter dem Kommando der PFLP, den eigenen Kampf um nationale Souveränität mit der Leugnung des Existenzrechts Israels verknüpfte. Diese Position halte ich für eine deutsche, militante Linke unvertretbar und nicht teilbar. Habt ihr euch damals mit dieser Frage auseinandergesetzt?
Ich weiß das nicht mehr in Einzelheiten, nur noch ungefähr, dass das Gerede vieler Palästinenser vom „Ins Meer Werfen“ schon vorbei war, nicht mehr aktuell, dass wir diese Position weder teilten noch ernst nahmen. Wie sich später zeigte, war es ja auch eher eine taktische Höchstforderung, um von dort aus herunterzuverhandeln. (Wie die BRD immer die DDR nicht wahrzunehmen versuchte, als radikale Ausgangsposition …) Und offenbar wird das Existenzrecht eines Staates Palästina nach wie vor von Israel nicht anerkannt, umgekehrt schon lange!

18. Neben dem politischen Scheitern sind auch beide, an der Aktion beteiligten RZ-Mitglieder, Winfried Boese und Brigitte Kuhlmann, der Du sehr nahe standest, ums Leben gekommen. Welche Konsequenzen hast Du, welche Schlussfolgerungen hat die RZ daraus gezogen? Worum hast Du Dich bis zu Deinem Ausstieg 1977 bemüht?
Ich weiß noch, dass wir wegen des Todes der beiden ziemlich verzweifelt waren und der unnötigen Umstände, die es erst den Israelis möglich machten, diesen Angriff durchzuführen (ständige Verlängerung der Fristen, alle Geiseln am Flugplatz lassen etc.). Nach fürchterlichen Racheplänen, die wir nicht umsetzten, da wir das Prinzip „Es gibt keine Unschuldigen“ nicht übernehmen wollten, wurde überall überlegt, wie es weitergeht. Einige scheinen den Kampf an sozialen Brennpunkten in der BRD fortgeführt zu haben, andere machten eigene internationale Gruppen auf, die Palästinenser machten einen weiteren Versuch in Mogadischu, der ebenfalls vereitelt wurde. Ich näherte mich meinem Ausstieg.
Mein Ausstieg war Folge dieser Erfahrungen. Wir hatten öfter den Spruch drauf, dass man nicht aufhören darf zu kämpfen, und wenn es eben noch 500 Jahre dauert, dann eben solange. Jetzt aber wurde ich mir bewusst, dass die Gegenseite militärisch, geheimdienstlich etc. so stark ist, dass wir keine Aussicht hatten, voranzukommen. Immer mehr würden in den Knast kommen oder umgebracht werden, entweder bei Aktionen oder kaltblütig erschossen, wie es israelischer Geheimdienst, französische und deutsche Polizei etc. etc. ja öfters demonstrierten. Ich habe gesagt, 500 Jahre haben wir nicht mehr. Die Welt wird vorher zerstört werden. Wir brauchen neue Formen, Ansätze ganz anderer Art. Also machte ich ernst mit der zunehmenden Ökobewegung und wurde Bio-Rancher. Diese Meinung wurde nicht generell geteilt, aber respektiert. Auch andere sind nach mir sanft und reflektiert aus den RZ ausgestiegen.

19. War für Dich bereits damals erkennbar, dass sich die RZ faktisch gespalten hat? Zumindest das RZ-Papier: ‚Gerd Albartus ist tot‘ deutet solche schwerwiegenden und unüberbrückbaren Auseinandersetzungen an, die jedoch sehr lange, zu lange unter den Teppich gekehrt wurden?
Ich habe die ganze Auseinandersetzung nach Gerds Tod nicht mit bekommen, da ich in Nicaragua arbeitete. Erst als Freunde aus Deutschland und das BKA mir (denselben) Zeitungsartikel zusandten, habe ich wieder mal etwas von den RZ gehört, fast mit 10 Jahren Abstand!

20. Anfang der 90er Jahre wurde ein Ermittlungsverfahren wegen RZ-Mitgliedschaft gegen Dich eingeleitet. Was wurde Dir vorgehalten und wie ging das Verfahren aus?
Das ging los mit dem Besuch von KHK Krupp im Winter 1992, der sich als Nachlassverwalter der Stasi vorstellte. Man ermittelte wegen Rädelsführerschaft in der RZ. Da die Verjährungsfrist von 10 Jahren vorbei war, hat man monatelang versucht, irgendetwas gegen mich zu finden, was jüngeren Datums war- vergeblich. Irgendwann stellte der Bundesanwalt Beese das Verfahren ein.

21. In diesem Zusammenhang schickte Dir das BKA das RZ-Papier ‚Gerd Albartus ist tot‘ nach Nicaragua. Warum kümmerte sich das BKA so rührselig um die Verbreitung von RZ-Erklärungen?
Kriminalhauptkommissar Krupp hatte mir 1992 gesagt, dass er mich zwar nicht festnehmen könne, aber er habe ja noch die ‚Berliner Schiene‘ (die Aktivitäten der mutmaßlichen RZ-Gruppe in Berlin) und bei aller Sympathie, die er „menschlich für mich“ habe, sei ich im Übrigen derjenige, der Gerd nach seiner Entlassung mit „denen“ wieder zusammengebracht habe. Ich sagte ihm, er sei mir auch nicht unsympathisch, aber dieses stimme nun wirklich nicht. Damals glaubte er mir das noch nicht und schickte mir- mahnend, appellierend- jenen Artikel zu. Ich konnte ihm wirklich nicht helfen, denn leider habe ich meinen Freund und Kampfgefährten Gerd Albartus das letzte Mal vor seinem Prozess gesehen.

Das Interview führte Wolf Wetzel für das Buch:

Die Hunde bellen … Von A bis (R)Z. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Unrast Verlag 2001

68 – als Staatsbegräbnis

Das Scheitern der 68er* als Erfolgsstory

The good, the bad and the ugly

In jedem politischen Strafverfahren wird mehr als Recht gesprochen, wie in dem im Februar 2001 abgeschlossenen OPEC-Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt, wo zwei mutmaßliche RZ-Mitglieder auf der Anklagebank saßen. Dort ging es gleichermaßen darum, die Geschichte militanter, bewaffneter Kämpfe (aus-)zu richten – als »Todestrip« (Joschka Fischer), »gekennzeichnet von Zynik und Gefühllosigkeit« (Hans-Joachim Klein), als »Irrweg« (Joschka Fischer), der «eine gerechtere und humanere Welt versprach – und dabei zu Mitteln und Methoden griff, für die ich früher auf die Straße gegangen wäre« (Hans-Joachim Klein).

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Eine Start- und Landebahn für den militanten Widerstand?

Eine Start- und Landebahn für den militanten Widerstand?
Eine von vielen Geschichten aus der Startbahnbewegung

Wenn im Folgenden von ‚wir‘ die Rede ist, dann ist damit kein homogenes ‚wir‘ gemeint. Vielmehr hat sich der Autor in den ca. fünf Jahren, auf die im Folgenden zurückgeblickt werden soll, in vielen ‚wir’s‘ bewegt. Das ‚wir‘ kann für sich also nur einen gemeinsamen Prozess, einen Blickwinkel auf die Startbahnbewegung in Anspruch nehmen.

Anfang 1980 sah die politische Situation in Frankfurt wahrlich deprimierend aus. Die Sponti-Szene hatte sich zu dieser Zeit fast komplett parlamentarisiert. Sie war für uns kein Ausgangs- oder gar Bezugspunkt mehr. Auch die militanten Zusammenhänge, die sich dieser Entscheidung verweigerten, waren für uns nicht greifbar. Einzig und alleine das ‚Erbe‘ des Häuserkampfes 1970-74 hatte für uns noch eine gewisse Ausstrahlung.
Wir mussten bei Null anfangen

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Wie alles anfing…

Wie alles anfing…

Es müsste so Anfang der 80er Jahre gewesen sein. Eines Tages rief mich ein Freund aus Berlin an und fragte, ob zwei Genossen bei uns für zwei Wochen schlafen könnten. Sie hätten in der Nähe von Frankfurt eine Fortbildung in Fotosatz und suchen deshalb eine Übernachtungsmöglichkeit.

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Die verlorene Unschuld – zum Teufel mit den Opfern

Die verlorene Unschuld – zum Teufel mit den Opfern

Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel

Im Folgenden möchte ich an das Zitat von Ulrike Meinhof aus dem Jahre 1967 anknüpfen, das in dem vorangestellten Beitrag erwähnt wurde. Darin verband sie die Notwendigkeit einer radikalen Kritik an der Politik des Staates Israels mit der Mahnung, dass

es für die europäische Linke keinen Grund (gibt), ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in die Gegenwart und schließt den Staat Israel ein, den britische Kolonialpolitik und nationalsozialistische Judenverfolgung begründet haben. Die Menschen, die heute in Israel leben, die Juden nicht nur, auch die Araber, waren nicht Subjekt, sondern primär Objekt dieser Staatsgründung. Wer den Bestand dieses Staates glaubt zur Disposition stellen zu wollen, muss wissen, dass nicht die Täter, sondern wiederum die Opfer von damals getroffen würden.“ (Konkret, 7/1967)

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