Junge Welt vom 25.1.2018
Sebastian Carlens /Junge Welt
Kommentar
Kommentar
Gewollter Kontrollverlust
Über die Naziverstrickungen des frühen Bundesnachrichtendienstes unter Reinhard Gehlen wird mittlerweile in aller Öffentlichkeit gesprochen – das »Stay-behind«-Netzwerk aber bleibt weiter außen vor
Wolf Wetzel
Wenn ein Nachrichtendienst, der eigentlich als Auslandsgeheimdienst fungieren soll, Kriegsverbrecher deckt, weil seine Mitarbeiter am »Dritten Reich« nichts auszusetzen haben (bis auf dessen Zusammenbruch), wenn er bereit ist, im eigenen Land einen »illegalen Apparat« zu etablieren, »um alle Elemente zu bekämpfen, die eine pro-sowjetische Politik befürworten«, wenn er den Außenminister der eigenen Regierung »beobachtet wie einen Staatsfeind« und Spitzel im Umfeld der eigenen Regierung, diverser Ministerien, den Parteien und den großen Medien unterhält, wenn er den »Parteigeheimdienst« der regierenden Partei mit Dossiers über politische Konkurrenten versorgt, dann nennt man das dahinter stehende System einen »tiefen Staat«. In der Bundesrepublik Deutschland aber wird der Hinweis darauf zunächst als »Verschwörungsphantasie« denunziert und wenn es sich nicht mehr widerlegen lässt, achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Der Geheimdienst, von dem hier die Rede ist, nennt sich Bundesnachrichtendienst (BND) und ist, zumindest dem Gesetz nach, im Ausland tätig.
Das Bundeskanzleramt und der Auslandsgeheimdienst BND haben bisher geheim gehaltene Dokumente über die Adenauer-Ära zugänglich gemacht. Zum innersten Kreis des „beliebtesten Bundeskanzler Deutschlands“ zählten ehemalige Mitglieder der NSDAP und der Wehrmacht, die alles boten: von Spitzeldiensten, über den Aufbau eines parteieigenen Geheimdienstes, bis hin zu einem inneren Staatsstreich.
Besteht ein Zusammenhang zwischen dem ‚nationalsozialistischen Untergrund’ der Stunde Null und dem NSU, den wir seit 2011 kennen?
Stellen Sie sich folgende Kurzfassung eines Drehbuches vor:
Nazis, die das Dritte Reich überlebt haben, werden ab Mitte der 50er Jahre als irreguläre Truppen wiederbewaffnet, um hinter den Linien gegen die „kommunistische Gefahr“ zu kämpfen. Ausgebildet und geführt werden sie von der NATO, dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis. Der Chef dieser irregulären Truppen wird in Deutschland der (Ex-)Nazi und Wehrmachtsoffizier Reinhard Gehlen, der nach der militärischen Niederlage des Dritten Reiches damit betraut wird, einen Auslandsgeheimdienst aufzubauen. Aus dieser ‚Organisation Gehlen’ wird später der Bundesnachrichtendienst (BND). Dieser bekommt als BND-Chef u.a. den Auftrag, das Privatleben des Staatsanwaltes Fritz Bauer auszuspionieren. Dieser will sich nicht abhalten lassen, einen Prozess gegen ehemalige KZ-Wärter zu führen. Außerdem verfolgt er eine wichtige Spur zu Adolf Eichmann, der „abgetaucht“ war. StA Bauer soll daran gehindert werden, mit lancierten Indiskretionen über sein Schwulsein und mit dem Versuch, ihm Landesverrat vorzuwerfen. Diese Vorhaben genießen hochkarätige Zustimmung und Protektion. Im Bundeskanzleramt hat man dafür den passenden Mann: Hans Globke. Dort hatte man ihn zum Kanzleramtschef gemacht. Davor gehörte Hans Globke zur Führungselite im Dritten Reich und schaffte es dort bis zum Ministerialrat im Reichsinnenministerium. Nun wird dieser Ex-Nazi damit beauftragt, das aus dem Weg zu räumen, was Bundeskanzler Konrad Adenauer für „Erbsenzählerei“ hält, tatsächlich Verfassungsrang hat: die notwendige Entnazifizierung Deutschlands.
Das Zusammenspiel von ehemaligen Nazifunktionären und „nicht belasteten“ Regierungsmitglieder funktioniert hervorragend: Man hat „unbelastete“ Demokraten, wenn man sie vorzeigen muss und man hat erfahrene Nazis, wenn man sie braucht. Und falls doch etwas nicht ganz rund läuft, hat man einen parteieigenen Geheimdienst, der potenzielle Gegner ausfindig machen und ggf. neutralisieren soll.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie beim Lesen dieses Skriptes zu folgenden Schlußfolgerungen kommen: Es ist zu holzschnitzartig, viel zu karikaturenhaft und völlig überzeichnet. Oder Sie werfen gleich das Lasso mit dem Namen „Verschwörungstheorie“ über die Angelegenheit und das Skript in den Papierkorb.
Ich verrate nicht zu viel: Im ersten Fall ist die Wirklichkeit (manchmal) blühenden Fantasien und dem antizipatorischen Vorstellungsvermögen weit voraus. Im zweiten Fall wird sich das ausgeworfene Lasso um den eigenen Hals legen.
Tauchen Sie ein:
Publiziert auf „NachDenkSeiten“ am 1. Mai 2017: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38063
Diesen Beitrag gibt es auch als Podcast: http://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/170502_Stay-Behind_eine_staatlich_organisierte_Terrorstruktur_NDS.mp3
Der Koordinierungskreis/KO von Blockupy hat am 13.5.2014 eine Erklärung zur aktuellen Lage in der Ukraine veröffentlicht (siehe unten).
In Kiew ist unter maßgeblicher Führung und praktisch im Beisein des Außenministers der BRD spätestens ab dem 21. Februar ein neoliberal-faschistisches Regime[1] installiert worden. Eines seiner Hauptanliegen ist der möglichst rasche Beitritt der Ukraine in EU und NATO, also dem Diktat der Troika zu folgen. Diejenigen, die dieses Regime auf der Straße (gegen die rivalisierenden Oligarchen der Fraktion, die unter Janukowitsch lieber unter der Kontrolle des russischen Imperialismus bleiben wollte, als unter der von EU und USA) erkämpft haben, sind nachweislich glühende Nationalisten, die sich nicht scheuen, auf die ukrainischen Nazikollaborateure um Stepan Bandera als Vorbild zu verweisen und auch in anderer Hinsicht den vor wenigen Tagen explizit als „Befreier“ gefeierten Hitler, Goebbels und Co. als ihre Vorbilder sehen. Es ist bezeichnend, daß dieser nationalistische, rassistische und faschistische Umsturz als einzigen politischen Hauptinhalt die Forderung des Beitritts zur EU hat – ohne eine Vorstellung von der Verbesserung äußerst mieser Lebenbedingungen auch nur zu skizzieren. Das sagt Entscheidendes über den Charakter nicht nur der Kiewer Junta, sondern auch der EU und seiner dominierenden politischen Macht, Deutschland.[2]
Seit genau einem Jahr läuft vor dem Oberlandesgericht in München der Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Seitdem folgt die öffentliche Debatte weitestgehend dem Bemühen des Vorsitzenden Richters, den individuellen Schuldanteil der Angeklagten an der Verbrechensserie des NSU festzustellen, der nach bisherigem Wissenstand zehn Menschen zum Opfer fielen.
Damit hat der diesjährige 8. Mai eine doppelte Symbolik: Den 69. Jahrestag der Niederlage des Faschismus nehmen wir zum Anlass, um nach einem Jahr NSU-Prozess über das Verhältnis von Staat und militantem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik zu diskutieren.
Ein Beitrag von Hans Christoph Stoodt und Wolf Wetzel
Die Besetzung des Maidan Platzes in Kiew, Hautstadt der Ukraine, fand in den staatsnahen Medien in Deutschland großen Zuspruch. Was in diesem Land, in Deutschland zu einem Staatsnotstand geführt hätte, wurde dort mit jeder nur denkbaren Sympathie bedacht: Besetzung öffentlicher Plätze und Gebäude, Barrikaden, Molotow-Cocktails. Bewaffnete Verteidigung, Angriffe auf die ›Staatsmacht‹ bis hin zum Aufruf, die gewählte Regierung zu stürzen. Alles war gut und legitim …
Auch die (außer-)parlamentarische Linke in Deutschland fand freundliche Worte für den ›Aufstand‹. Schließlich ging es um den Kampf gegen eine korrupte Regierung, die den Reichtum ganz Weniger gegen die Armut ganz Vieler zementierte und forcierte.
Warum wurde aus der anfänglichen Sympathie für einen ›Aufstand‹ verlegenes Schweigen, als sich herausstellte, daß sich Erwartungen und Projektionen nicht einlösten, sondern das genaue Gegenteil eintrat? Warum schweigt die antifaschistische Bewegung heute und hier zu der inzwischen allgemein bekannten Tatsache, daß der Erfolg des ›Aufstands‹ ganz wesentlich durch faschistische Kräfte getragen und von der deutschen Regierung offensiv unterstützt wurde? Wiederholt sich hier ein Muster, das sich auf ähnliche Weise bei der Betrachtung der Unruhen in den Banlieues (Frankreich) oder England (Aufstand in Tottemham 2011) und an vielen Orten des ›arabischen Frühlings‹ gezeigt hat?
aktualisiert am 30.7.2013
Im Juni 2013 gelangten geheime Unterlagen, die der NSA-Mitarbeiter Snowden auf seiner Flucht mitgenommen hatte, an die Öffentlichkeit. Aus diesen geht hervor, dass der britische Abhördienst GCHQ seit Jahren das transnationale See-Glasfaserkabel TAT-14 (Trans Atlantic Telephone Cable No 14)›abschöpft‹, also den kompletten Datenverkehr für geheimdienstliche Zwecke ausforscht: »Die meisten Internetverbindungen zwischen Deutschland und Amerika laufen dort durch mehrere Glasfaserleitungen; auch Frankreich, die Niederlande, Dänemark und Großbritannien sind durch TAT-14 miteinander verbunden. Etwa 50 internationale Telekommunikationsfirmen, darunter die Deutsche Telekom, betreiben ein eigenes Konsortium für dieses Kabel. Manchmal fließen pro Sekunde Hunderte Gigabyte an Daten durch die Leitungen. Es ist ein gigantischer Datenrausch: Millionen Telefonate und E-Mails schießen durch das Netz. Auch deshalb hat der deutsche Verfassungsschutz stets nachgeschaut, ob in Norden alles in Ordnung ist. Keine Sabotage. Keine Terroristen…«
Das berichtete die Süddeutsche Zeitung vom 25.6.2013. Von dieser Praxis will also der deutsche Geheimdienst nichts gewusst haben. Auch die Bundesregierung übt sich in Ahnungslosigkeit.
Ganz sicher kann man davon ausgehen, dass ein solch kontinuierlicher Zugriff unter dem Decknamen ›Tempora‹ keiner geheimen Kommandoaktion geschuldet ist, sondern nur in gegenseitigem Einverständnis erfolgen kann.
Staatsterrorismus – who stand behind NSU?
Eine Begleittext zur Dokumentation „Gladio“ aus dem Jahr 2010, die am 1.11.2012 in 3SAT um 22.15 Uhr nochmals ausgestraht wurde.
Fassen wir in groben Zügen zusammen, was man bisher über den Nationalsozialistischen Untergrund/NSU weiß:
Hätte vor ein paar Monaten jemand behauptet, dass zur „Aufklärung“ der neonazistischen Mordserie Akten vernichtet, Untersuchungsauschüsse belogen, Referatsleiter des BfV Falschaussagen machen, wäre er als Verschwörungstheoretiker lächerlich gemacht worden. Wenn vor Monaten jemand behauptet hätte, dass die verschiedenen Geheimdienste nicht diletantisch, sondern perfekt zusammengearbeitet hatten und über ausgezeichnete Kontakte zum neonazistischen Thüringer Heimatschutz/THS verfügten, also zum Umfeld der daraus hervorgegangenen Terror-Gruppe ‚NSU‘, wäre ihm gleiches widerfahren.
Jetzt sind diese berechtigten Annahmen gerichtsverwertbar: Zwischen den Jahren 1997 und 2003 waren der Thüringer und Bayerische Verfassungschutz, das Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV und der Militärische Abschirmdienst/MAD, die Crème de la Crème der Geheimdienste, an der ‚Operation Rennsteig‘ beteiligt. Das Ziel dieser koordinierten Aktion war eindeutig: „Im Rahmen der operativen Zusammenarbeit des BfV mit dem LfV Thüringen und dem MAD unter der Bezeichnung „Rennsteig“ von 1997 bis 2003 hat das BfV … Werbungsfälle mit THS-Bezug eröffnet, aus denen … erfolgreiche Werbungsmaßnahmen resultierten.“ (Schreiben des BfV an an den Generalbundesanwalt vom Dezember 2011, FR vom 16.6.2012)
Der Erfolg konnte sich sehen lassen: „Demnach war fast jeder zehnte Aktivist in der damaligen Neonazi-Vereinigung ein Spitzel des Verfassungsschutzes.“ (http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/politik/artikel/jeder-zehnte-neonazi-war-v-mann/800850/jeder-zehnte-neonazi-war-v-mann.html)
Die Frage also, ob die beteiligten Geheimdienste problemlos den drei Mitgliedern der NSU in den ‚Untergrund‘ folgen konnten, ob eine/r von ihnen gar zu den ‚erfolgreichen Werbungsmaßnahmen‘ zählt, könnten die Akten beantworten, die nun vernichtet wurden.
Würden die Akten das Gegenteil beweisen können, also die bislang lancierte These untermauern, man habe die Spur zu den abgetauchten NSU-Mitgliedern verloren, wären sie nicht vernichtet worden!
Angesichts dieses organisierten und kriminellen Vorgehens vonseiten der Verfolgungsbehörden sind die Fragen der FR von auffallender, fortgesetzter Naivität:
“Gibt es Verbindungen zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe? Waren Mitglieder des Trios womöglich V-Leute? Haben sie Geld vom Verfassungsschutz erhalten? Hat das Bundesamt die Mörder sogar geschützt?“
Im folgenden trage ich alle Indizien und Fakten zusammen, die bis heute an die Öffentlichkeit gelangt sind, um auf zwei der vier gestellten Fragen (Frage 1 und 4) mit einem sicheren „Ja“ zu antworten.
Aktualisiert am 19.7.2012