Frankfurter Häuserkampf – Wie alles anfing

Wolf Wetzel

Die Geschichte des Blocks ist auch die Geschichte eines Frankfurter Stadtteils

Wie alles anfing – die „68er“ der Nichtwählbaren

Häuserkampf-BILD-ung

 

Ich will Ihnen mal erzählen, wie das damals gelaufen ist. Die Stadt wollte rund um die Hochhäuser möglichst viel Freiraum schaffen…. (Immobilienmakler und Investor Ignaz Bubis)

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Die Geschichte der militanten Kämpfe – von A bis (R)Z – von 1968 – 2000

2001 brachten wir als autonome L.U.P.U.S.- Gruppe das Buch heraus:

Die Hunde bellen … von A bis (R)Z – Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre

Nun ist die Auflage verkauft, das Buch im Antiquariat, aber noch ist das nicht das Ende.

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Der Angriff des Kommandos der »Bewegung der arabischen Revolution« auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975

Der Angriff des Kommandos der »Bewegung der arabischen Revolution« auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975

Wie alles anfing

Zum ersten Mal erfuhr Hans-Joachim Klein von der geplanten Aktion im Frankfurter Stadtwald Anfang November 1975. Dort traf er sich mit mehreren RZ-Mitgliedern. Ihr Anliegen war es, Hans-Joachim Klein für eine Teilnahme zu gewinnen. In groben Zügen – ohne genauere Details – wurde er mit der Idee und politischen Absicht dieser Aktion vertraut gemacht. Das entsprach den Regeln der Klandestinität. Hans-Joachim Klein schien von der Dimension dieses Vorhabens ziemlich überrascht worden zu sein. Schließlich ist ein bewaffneter Angriff auf eine OPEC-Konferenz nicht unbedingt eine Konsequenz, die auf der Hand liegt – nimmt man die Erfahrungen rund um den Frankfurter Häuserkampf, auf die er zurückgreifen konnte. Hans-Joachim Klein bat sich 2 Wochen Bedenkzeit aus.

Zwei Wochen später trafen sie sich noch einmal im Stadtwald….

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Ein Staatsbegräbnis für ›68‹ (2001)

Ein Staatsbegräbnis für ›68‹ (*)

oder

Ihr Scheitern als Erfolgsstory

(*) Die Chiffre ›68‹ soll in diesem Text so übernommen werden, wie sie in der veröffentlichen Diskussion verwandt wird: Als Zusammenfassung der wilden 60er und 70er Jahre, als Assoziationskette, die von studentischen Protesten, Anti-Vietnam-Demonstrationen bis hin zur Ulrike-Meinhof-Demonstration 1976 reicht

The good, the bad and the ugly…

The bad

In jedem politischen Strafverfahren wird mehr als Recht gesprochen, wie in dem im Februar 2001 abgeschlossenen OPEC-Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt, wo zwei mutmaßliche RZ-Mitglieder auf der Anklagebank saßen. Dort ging es gleichermaßen darum, die Geschichte militanter, bewaffneter Kämpfe (aus-)zu richten- als »Todestripp« (Joschka Fischer), »gekennzeichnet von Zynik und Gefühllosigkeit« (Hans-Joachim Klein), als »Irrweg« (Joschka Fischer), der »eine gerechtere und humanere Welt versprach – und dabei zu Mitteln und Methoden griff, für die ich früher auf die Straße gegangen wäre« (Hans-Joachim Klein).

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Ein Streifzug durch die Frankfurter Geschichte Anfang der 70er Jahre (2001)

Ein Streifzug durch die Frankfurter Geschichte Anfang der 70er Jahre –

oder

Wie sich Marcuses Randgruppenstrategie und die (Vor-)Geschichte Hans-Joachim Kleins in die Arme liefen

Seine Mutter deportierten die Nazis ins KZ Ravensbrück. Kurze Zeit später verstarb sie. Sein Vater, »ahnungsloser« Nazi, Bulle und überzeugter Antikommunist, steckte ihn ins Kinderheim. Mit drei oder vier Jahren kam er zu Pflegeeltern. Als Hans-Joachim Klein neun oder zehn Jahre alt war, platzte sein »Erzeuger« (S.33) in sein Leben, wo es »im großen und ganzen ganz manierlich« zuging (S.31). Sein Vater hatte sich neu verheiratet und holte Hans-Joachim in die Familie zurück. Das Familienglück währte nur sehr kurz. Bald setzte es bei jeder sich bietenden Gelegenheit Schläge: »Beliebt waren vor allen Dingen Elektrokabel – extra auf ne gute Länge getrimmt – ein Nudelholz und Kochlöffel« (S.33). Mal haute er für ein paar Tage ab, mal suchte er vergeblich Schutz beim Jugendamt. Immer wieder war seine Rückkehr mit furchtbaren Prügeln verbunden. Irgendwann landete er im Erziehungsheim in Hassloch/Pfalz. Nachdem er keinen Unterschied zwischen familiärer Gewalt und der Schläge aus staatlicher Fürsorge entdecken konnte, haute er auch dort ab und fand bei seinem Vater wieder Unterschlupf. Dieser besorgte seinem Sohn eine »anständige« Arbeit bei der Post und verlegte sich vom Schlagen aufs aussperren: »Wenn ich nicht um zehn Uhr abends zu Hause war, musste ich im Keller pennen. Und das war sehr oft.« (S.37). So füllte sich das Fas wieder und Hans-Joachim Klein gab seinem Vater einen der vielen Schläge zurück – und fand im Postwohnheim eine vorübergehende Bleibe. In dieser Zeit zog er gelegentlich los, um mit Kumpels zusammen Autos zu knacken und »Schwule zu klatschen« – eine damals beliebte Methode von Straßen-Gangs, um recht einfach und folgenlos an Geld und männliche Selbstvergewisserung zu kommen. Wegen der Autodiebstähle landete Hans-Joachim Klein schließlich für acht Monate im Knast und verlor selbstredend seinen Job bei der Post.

Der Kreislauf schien sich von neuem zu schließen: Sein Vater gewährte ihm den gerichtlich verordneten festen Wohnsitz und die Gefangenenfürsorge verschaffte ihm als Lagergehilfe einen Job in der Kneipe »Schultheiss«, für 3,85 Mark die Stunde. »Das nahm ich an, was sollte ich machen. Dort schuftete ich mich wirklich halbtot, sehr oft auch noch Sonntags«(S.38) …Zu dieser Zeit war Hans-Joachim Klein 20 Jahre alt.

Der Zufall wollte es, dass dieses Restaurant im Westend lag, »ein Viertel in Frankfurt, wo es viele Studenten gab. Das war 1967, als die Bewegung grade richtig losging. Da hatte ich meine ersten Kontakte.« (S.275)

Ein weiterer Zufall sollte schlagartig mit seinem »Kinderglaube(n) an die liebe Polizei« (S.40) aufräumen. Auf einer der vielen Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen beobachtete Hans-Joachim Klein, wie mehrere Polizeibeamte eine Frau zusammenschlugen: »Ich habe einen Schlag ausgeteilt und einen verpasst gekriegt. Von dem Moment an hab ich angefangen nachzudenken. Ich hab angefangen, mit den Studenten zu diskutieren, Fragen zu stellen. Ich begann zuzuhören, wenn von Vietnam die Rede war. Ich las mein erstes Flugblatt, von dem ich übrigens kein einziges Wort verstand.« (S.276)

Was ihm an den Studenten, an den Krawallmachern und Kommunisten gefiel, stand nicht in den Flugblättern. Was ihn beeindruckte, war, dass sie ihm zuhörten, dass sie ihm geduldig und ohne Arroganz Dinge erklärten, die er wissen wollte, »dass sie sich für Sachen einsetzten, von denen sie keinerlei materiellen Nutzen hatten… Das war eine meiner ersten Entdeckungen überhaupt. Dass man da Sachen macht, die nichts auf die eigene Hand bringen. Das war wider aller Regel, wie ich sie 20 Jahre beigebracht bekommen habe.« (S.111). Bevor er auf sein erstes Teach-in ging, kaufte er sich eine Packung Gauloises, nachdem er mitbekommen hatte, dass viele seiner neuen Freunde eben diese Marke bevorzugten. Einer davon war vom Verband der Kriegsdienstverweigerer (VdK) und da für ihn die Entscheidung anstand: Bundeswehr ja oder nein, besuchte er öfters das Büro in der Adalbertstraße. Dort diskutierten sie lange und heftig um das für und wider. Ein halbes Jahr später entschied sich Hans-Joachim Klein doch in die Bundeswehr zu gehen: »Mit dem Kopf, dass gegen die was unternommen werden muss (S.40)… dass das Ding von innen anzugreifen (theoretisch)« (S.39) ist. Ganz praktisch hat ihm das viel Knast und pausenlos Wachdienst eingebracht.

Als Hans-Joachim Klein nach eineinhalb Jahren mehr oder weniger misslungener Wehrkraftzersetzung entlassen wurde, hatte sich draußen viel verändert. Die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Studentenbewegung polarisierten sich, die Enttäuschungen über das nicht erreichte bzw. hartnäckig bestehende führte zu unterschiedlichen Konsequenzen. Ein Teil davon machte sich an den Aufbau einer der vielen kommunistischen Parteien (KBW, KPD/AO, KB), ein anderer Teil entschied sich für den »Marsch durch die Institutionen«. Andere wiederum entschieden sich zum Aufbau illegaler, bewaffneter Strukturen (RAF, 2.Juni, RZ). Ein Großteil der noch politisch Aktiven blieb dem anti-autoritären, undogmatischen Gedankengut treu und suchte nach dafür geeigneten Strategien. Die gerade in Italien im Entstehen begriffene Autonomia – deren Theorie und Praxis sich im Widerspruch zu den kommunistischen, marxistisch-leninistischen Parteidoktrinen entwickelte – wurde so über Jahre Bezugspunkt der westdeutschen, undogmatischen Linke. In Frankfurt griffen die Spontis diese Ideen und Konzepte auf und versuchten sie auf die Verhältnisse in (West-)Deutschland zu übertragen.

Im Mittelpunkt der Autonomia stand die Infragestellung des Legalismus, die Entwicklung neuer, militanter Kampfformen, die Abkehr von einem blinden Ökonomismus (mit der Arbeiterklasse an der Spitze), Konzepte von einer breiten, gesellschaftlicher Verankerung, die Lebendigkeit einer Utopie (anstatt protestantischer/kommunistischer Versprechungen auf ein besseres danach) und die zarte Infragestellung zentralistischer, hierarchischen (Organisations-)Strukturen.

Die Unruhe verließ das Universitätsgelände und das studentische Milieu – an allen Ecken und Enden dieser Stadt tauchte sie wieder auf. In großen Betrieben (wie Opel und Ford) nahm der RK (Revolutionärer Kampf) seine interventionistische Betriebsarbeit auf, die bis zu ‚wilden‘ Streiks führte. Die Emigranten als Lohnarbeiter in den Fabriken als auch als BewohnerInnen herunter gekommenener Wohnviertel wurden zu einer politische Bezugsgröße. Überall in der Stadt schossen Stadtteilgruppen aus dem Boden, die auch Ausgangspunkt für die ersten Hausbesetzungen in Frankfurt wurden. In Obdachlosensiedlungen – heute sprachlich geschönt als »soziale Brennpunkte« geführt – wurde die politische Arbeit begonnen und viele Jugendliche gaben – mit Erfolg – den wild zirkulierenden Ideen und (Auf-)Brüchen in selbstverwalteten Jugendzentren einen Ort. Mehr quer dazu als daneben formulierten sich die ersten Ansätze der zweiten Frauenbewegung, die das Patriarchat – zum Unmut vieler Genossen – nicht nur im System ausmachten, sondern auch unter den revolutionären Männern und Beziehungspartnern. »Kurz, für jedes politisches Herz und jeden politischen Geschmack war in Frankfurt und darüber hinaus was vorhanden.« (S.124)

Als Hans-Joachim Klein von der Bundeswehr nach Frankfurt zurückkehrte, stürzte er sich alsbald in das Getümmel unzähliger Initiativen, Gruppen und Aktivitäten.

Als der Frankfurter Ortsverband der VdK vom Bundesvorstand wegen Radikalismus ausschlossen wurde, wandte er sich den Anarchos zu und wurde Mitglied der »Föderation Neue Linken«: »Es war eine herrliche und vor allem verrückte Zeit, obwohl die politische Arbeit nie zu kurz kam.« (S.129). Grund genug, um wieder einmal einen seiner beschissenen Lohn-Jobs zu verlieren, samt Unterkunft. Dieses Mal ging er nicht zu seinem Vater zurück, sondern entschied sich für eine völlig neue Erfahrung. Er zog in eine Wohngemeinschaft ein: »Das war meine erste Erfahrung gemeinschaftlichen, solidarischen Zusammenlebens, mit all seinem Freud und (manchmal) Leid. Das erste Mal in meinem Leben kollektive Lebensformen: Hatte der eine keine Kohle, hatte es halt der andere und gab’s ohne Murren raus. Meins, deins, so was gab es nicht mehr. Ich habe ganz schön umlernen müssen in der Zeit.« (S.130)

Zu dieser Zeit landeten die ersten Mitglieder der RAF im Knast, wodurch die Haftbedingungen insbesondere die gegen sie verhängte Isolationshaft ins Blickfeld politischer Diskussionen geriet. Das politische Strafrecht (§ 88a, § 129a) wurde verschärft, das Demonstrationsrecht eingeschränkt. Die wachsende Repression hinterließ eine Blutspur: Petra Schelm, Georg von Rauch, Thomas Weisbecker wurden – selbstverständlich aus Notwehr – von Polizeibeamten erschossen. All diese Ereignisse führten zur Gründung der »Roten Hilfe«, der Hans-Joachim Klein beitrat. Seine Solidarität gegenüber den politischen Gefangenen stand für ihn außer Frage. Dennoch zählte er sich zu jenen, die sich einer Instrumentalisierung durch die RAF widersetzten: »Das ist auch ein bisschen der Grund, warum ich den Revolutionären Zellen beigetreten bin und nicht der RAF.« (S.281)

Fortan bestimmten im Großen und Ganzen zwei politische Konzepte und Strategien das Leben der Linken (nicht nur) in Frankfurt. Auf der einen Seite die Politik und Praxis der RAF, das Primat der Illegalität, die Illegalität als einzig wahren Bruch mit den Verhältnissen, deren Zuspitzung durch Anschläge und das damit verfolgte Ziel, die bürgerliche Demokratie als (letztendlich) faschistisches System zu demaskieren.

Auf der anderen Seite die Vorstellungen von einer militanten Politik, die die Legalität nicht (freiwillig) aufgibt und die Wahl der Mittel, die Dynamik der Kämpfe an den Grad gesellschaftlicher Verankerung bindet.

Hans-Joachim Klein versuchte einen Spagat zwischen beidem. Er beteiligte sich weiterhin an den militanten Auseinandersetzungen in Frankfurt, an den Verteidigungskämpfen um die besetzten Häuser (Kettenhofweg, Bockenheimer/Schumannstr.-Block), an den heftigen Straßenkämpfen gegen die Einführung eines neuen FVV (Frankfurter U- und S-Bahn)-Tarifs, an den Aktionen, die von der Roten Hilfe ausgingen, an der letzten Anti-Vietnamkriegs-Demonstration in Frankfurt am 30.4.1975, als im ehemaligen Saigon die Fahne des Vietcongs gehisst wurde.

Gleichzeitig machte er keinen Hehl aus seiner Sympathie für die RAF-Aktionen gegen das amerikanische Headquarter in Heidelberg und das IG-Farben-Haus in Frankfurt, die in engem (das heißt nicht nur politischem, sondern logistischem) Zusammenhang zu dem Krieg der USA gegen Vietnam standen. Nicht anders verhielt er sich zu Anschlägen auf amerikanische Einrichtungen, die er nicht als unpolitisch verurteilte, sondern guthieß. Damit geriet er immer wieder auch in Widerspruch zu den GenossInnen, die er im Laufe seiner Politisierung schätzen lernte: »Ich hatte keine Lust mehr, mich da auf große Diskussionen einzulassen. Und noch weniger hatte ich Lust, durch halb Frankfurt zu rennen – als ging’s um den goldenen Schuh – vor grinsenden Bullenketten und tropfenden Wasserwerfern zu stehen…um dann anschließend kaputt vom Rennen und frustriert von der Ohnmacht (…) nach Hause zu gehen.« (S.133)

Die Auseinandersetzungen wurden immer härter und der persönliche und politische Spagat Hans-Joachim Kleins immer schwieriger. Wieder kam ein Zufall zur Hilfe. Er kannte Wilfried (Bonnie) Boese bereits von der Stadtteilgruppe im Gallus, von der »Roten Hilfe« und dem Black Panther-Komitee. Als dieser ihm eines Tages die Tür zur RZ öffnete (S.281), willigte er ein und machte aus seinem Doppelleben ein politisches Konzept. Er eignete sich die Kenntnisse für die Illegalität an, das Fälschen von Papieren, Sicherheitsmaßnahmen, Codes, Waffenkunde. Ansonsten engagierte er sich weiterhin in der Roten Hilfe und bemühte sich dabei, seine Sympathie für die Guerilla nicht allzu laut kundzutun.

Im September 1974 begann der dritte Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF. Ziel war es, die vor allem gegen politische Gefangene verhängte Isolationshaft – als eine »Form der psychologischen Folter« (Jean-Paul Sartre) – aufzubrechen. In Frankfurt, wie in anderen Städten auch, unterstützten Solidaritätskomitees die Forderungen nach Aufhebung der Sonder-Haftbedingungen. Von Anfang an stand dabei die Frage im Raum, inwieweit ein Kampf gegen die Haftbedingungen ein Bekenntnis zur oder eine Kritik an der Politik der RAF einschließt oder nicht. Dieser schwelende Konflikt eskalierte mit dem Tod von Holger Meins. Nur ein Tag später, am 10.11.1974, wurde der Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann von der »Bewegung 2.Juni« erschossen. Die RAF begrüßte dieses Attentat ausdrücklich. Hans-Joachim Klein sah seine Wut darin gut aufgehoben: »Das Attentat auf Drenkmann nach dem Tod von Meins hat mich begeistert. Für einen Teil der Linken war es dagegen bestürzend.« (S.281) Die Auseinandersetzungen um das für und wider eines bewaffneten Kampfes dominierte schließlich die Solidaritätsarbeit und brachte sie de facto »zum Stillstand.« (S.281). Diese Ereignisse bestärkten Hans-Joachim Klein in der getroffenen Entscheidung, dass »jetzt (…) mit der Ohnmacht des Legalismus Schluss gemacht werden« (S.281) müsse.

Auch in anderen Ländern der Welt eskalierten die Verhältnisse – in alle Richtungen. In Chile endete der friedliche Weg zum Sozialismus in einem blutigen Militärsturz (1973), in Griechenland putschte sich das Militär an die Macht, der Franco-Faschismus lag in den letzten Zügen und in Portugal begann mit der Sturz der Caetano-Diktatur am 25.4.1975 die »Nelken-Revolution«.

Und von Wilfried Boese erfuhr Hans-Joachim Klein viel über die zugespitzte Situation in Palästina, über »das Massaker des Schlächters von Amman im Jordan-Tal mit über 20.000 toten Palästinensern« (S.43), über die Bombardierung von palästinensischen Flüchtlingslagern durch israelische Kampfflugzeuge, über den palästinensischen Widerstand und lernt dabei u.a. Mitglieder der PFLP, einer palästinensischen Guerilla-Organisation kennen, die auch im Ausland operierte.

Bereits zu dieser Zeit existierten zwei Strömungen innerhalb der Revolutionären Zellen (RZ): Eine internationalistische, die mit anderen nationalen Befreiungsbewegungen und -organisationen zusammenarbeitete und ihren Aktionsradius, ihren Bezugrahmen aus den weltweiten Kämpfen um Befreiung ableitete. Die andere Strömung nahm überwiegend die Verhältnisse in der BRD zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, orientierte die Wahl der Mittel, den Ort der Intervention an dem, was sie den sozialen Bewegungen zumutete.

Ein Gespräch im Frankfurter Stadtwald sollte zu einer Entscheidung führen.

Aus: Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Die Hunde bellen… Von A bis (R)Z

Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre

Unrast-Verlag, Münster, Herbst 2001

Interview mit dem ehemaligen RZ-Mitglied Gerd Schnepel aus dem Jahr 2001

Interview mit dem ehemaligen RZ-Mitglied Gerd Schnepel aus dem Jahr 2001

1. Was waren Deine ersten politischen Erfahrungen? Gab es in dieser Zeit bestimmte Ereignisse, die Dich geprägt haben?
Meinst Du wirklich meine ersten? Mit 14 habe ich Ollenhauer-Pakate abgerissen und Adenauer-Plakate gemalt und aufgehängt … Mein Vater hatte aus seiner NSDAP-Mitläuferschaft gelernt und wurde ein Sympathisant von Jochen Steffen und der Schleswig-Holsteinischen SPD. 1962 gründete ich den Ortsverband Albersdorf/Dithmarschen der Jungen Union (JU) und blieb bis 1965 CDU-Mitglied. Meine Freunde in der JU und ich, aus der Ev. Jugend kommend, nahmen das wörtlich mit dem C im Parteinamen; daher waren wir in der CDU Dithmarschen und stießen natürlich mit der Partei und ihrer Realität ständig zusammen. Wir waren die linkeste JU in SH, machten (Werbe-)Veranstaltungen mit dem VK (Verband der Kriegsdienstgegner) und gegen die Berufsvertriebenen und Altnazis etc. Der Bruch kam, als mir auf dem CDU-Parteitag das Wort entzogen wurde, weil doch “schließlich ein Pazifist nicht auf einem CDU-Parteitag reden” könne. Dadurch hatte ich die Chance, meinen historischen Irrtum zu korrigieren, und merkte bald, dass meine Vorstellungen von Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden auf der linken Seite des Spektrums wesentlich besser aufgehoben waren. So beteiligte ich mich 1964 am Ostermarsch der Atomwaffengegner und gründete 1967 den SDS Erlangen.

2. Vom SDS Erlangen zur RZ ist es kein Katzensprung. War dies einem persönlicher ‚Zufall‘ geschuldet oder hast Du Dich an einem bestimmten Punkt bewusst auf den Weg gemacht, solche Leute zu finden?
Beides – auf der einen Seite zerfiel unsere geliebte 68-er-Bewegung in ‚kommunistische‘ Miniparteien, in komplett der Theorie Verfallene und Karrieremacher und Augen-zu-und-durch/Langer Marsch-Menschen. Und ich dachte, das kann es doch nicht gewesen sein: Radikalste Gesellschaftskritik seit Jahrzehnten, in Wort und Tat (vor allem in Frankreich und Deutschland) und jetzt zur Tagesordnung übergehen. Ich dachte, dass Widerstand, Ent-Rüstung und Engagement gegen den weltweiten Kapitalismus doch nicht aufgrund dieser Abwärtsentwicklung der Bewegung aufgegeben werden können, sondern dass das zunächst christlich motivierte, pazifistische und emanzipatorische Bewusstsein und Gewissen nach neuen Wegen suchen müsse. Die RZ-Gründungsmenschen dachten ähnlich. So fanden wir uns, zumal wir fast alle anfangs aus dem linken Buchhandel kamen, am Anfang. (Offenbar galt: Lesen bildet!)

3. Als Du Dich dem RZ-Konzept angeschlossen hast, gab es ja verschiedene andere politische Gruppen, die ein militantes Konzept vertraten. Gab es für Dich gewichtige Gründe, warum diese Gruppen für Dich nicht infrage kamen?
Die RAF war mir mit ihren abgehobenen Theoriepapieren, dogmatischen Floskeln und Regeln sehr, sehr fern. Der ‚2.Juni‘ war Berlin, und das immer und überall arrogante Berlin samt Inhalt konnten wir in Franken schon seit 1967 nicht ausstehen … RZ war einfach ‚das richtige‘, das beste und logischste Konzept, für das man sich einsetzen konnte: Mit tollen Leuten ‚heiße Sache‘ machen, die auch Spaß machten und gute Gefühle hinterließen.

4. Kannst Du erzählen, wann Du genau zur RZ dazugestoßen bist und was Du bis zur OPEC-Aktion gemacht hast?
Im Frühjahr 1975 fingen wir an miteinander zu sprechen, und das ging auch das ganze Jahr 1975 weiter. In diesem Jahr habe ich viel Zeit am Lenkrad verbracht, wenn wir durch ganz Europa kutschierten (100.000 Kilometer in einem Jahr, plus 100.000 Flug-Meilen). Auch beim „Revolutionären Zorn“, unserer Zeitung, habe ich mitgewirkt, und in Nürnberg das SEL-Gebäude ausgekundschaftet, um die Routine des Personals auszuspähen, damit ja nicht Hausmeister, Nachtwächter oder Putzfrauen bei einem möglichen Anschlag anwesend sind.

5. Hans-Joachim Klein sagt, dass mit dem zweiten Teil der OPEC-Aktion das Ziel verfolgt wurde, im Austausch der jeweiligen Erdölminister eine pro-palästinensische Erklärung in den betreffenden arabischen Ländern zu veröffentlichen. Weißt Du, warum diese Absicht fallen gelassen wurde?
Nein. Ich kenne nur ein Gerücht, dass Algerien (als Flugzielland damals) sagte, man könne es sich als Mitglied in der Arabischen Liga politisch nicht leisten, die Aktion mit einem erneuten Start von Algerien aus zu unterstützen. Dann wurde diesem Gerücht zufolge verhandelt, was mit der Freilassung aller Minister incl. des iranischen endete, dem Schlächter und Folterer des Reza Pahlewi-Geheimdienstes SAVAK.

6. Nach ein paar Wochen im PFLP-Lager in Südjemen wurde Hans-Joachim Klein in eine kleine Hütte im Aostatal/Italien gebracht. Du hast im Prozess gesagt, dass Du ihn betreut hast. Kannst Du sagen, wie das aussah?
Wir erfuhren in Deutschland, dass ‚Angie‘ wieder in Europa ist und Unterstützung im Untergrund braucht, was er vorher in Arabien einfacher erhalten hatte. Ich weiß nur noch, dass wir ihn in der von uns angemieteten Hütte besuchten, viel über die Szene in Deutschland erzählten, und er, wie es ihm so ging (bzw. wie er behauptete, dass es ihm ginge). Wir brachten Zeitungen, Bücher, Schokolade, Zigaretten und ähnliche Mitbringsel und auf seinen dringenden persönlichen Wunsch auch eine Pistole oder einen Revolver.

7. Hans-Joachim Klein hat im Prozess die in seinem Buch aufgestellte Behauptung wiederholt, er wäre dort ‚bedroht‘ worden. Er habe ein Treffen mit Johannes Weinrich (‚Steve‘) vereinbart, doch dieser wäre nicht alleine gekommen: Als ‚Steve‘ und er in Richtung Dorf gingen, sah Hans-Joachim Klein „das Auto der RZ. Als ich schon mitten auf der Brücke war … wollte einer (es war ‚Max‘) aus dem Auto raus … Ich ging in Deckung … Ich hatte inzwischen noch eine zweite Person am Wagen ausgemacht.“ Daraufhin habe er fluchtartig die Hütte verlassen. In diesem Zusammenhang behauptete er vor Gericht, dass jener ‚Max‘ Rudolf Schindler gewesen sei. Hast Du davon noch etwas in Erinnerung?
Das Treffen war zwischen ihm, ‘Steve‘ und mir. Wir drei gingen durchs Dorf, und er sah oben an der Straße mein privates Auto (weißer Volvo), in dem noch jemand saß. Die dort Sitzende, Eva Wollrab, hat dies auch vor Gericht bestätigt. Die ganze Bedrohung, die Gründe für seine Flucht waren ja nur in Hans Joachims Kopf, wir ahnten sie nicht.

8. Machst Du Dir einen Reim darauf, dass Hans-Joachim Klein Rudolf Schindler den Decknamen ‚Max‘ gegeben hat, obwohl er Dich mit diesem Decknamen kennengelernt hat?
Mein „Reim“ ist, dass ihm die Polizei Strafmilderung in Aussicht gestellt hat, wenn was Verwertbares rüberkommt. Einzig Verwertbares schien ihnen wohl Rudolf Schindler zu sein. Also hat er – in immer neuen Varianten- diesen Vorschlag der Ermittler aufgegriffen und Rudolf, wie wir aus dem Verfahren wissen, in teils abenteuerlichen Aussagezickzacks beschuldigt.

9. Hans-Joachim Klein hat in seinem Buch geschrieben, dass die RZ ihm misstraut habe, als er vorgab, eine ‚eigene Gruppe aufzumachen‘. Warum hat sich dennoch die RZ entschieden, ihm eine Waffe zu besorgen, die Du ihm gebracht hast?
An die „eigene Gruppe“ kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ‚Steve‘ und ich eher belustigt gesagt haben: Mann, jetzt will er auch noch ’ne Knarre gebracht haben, was neben dem Aufwand für uns auch ein gewisses Risiko in sich barg. Aber da ‚Angie‘ (Hans-Joachim Klein) nun mal darauf beharrte, als Untergetauchter bewaffnet zu sein, haben wir ihm den Gefallen getan.

10. Mit dem Ausstieg von Hans-Joachim Klein starteten die Frankfurter Spontis 1977 im Pflasterstrand die ‚Jemand‘-Kampagne und drohten damit, Leute zu verraten, die sie für Mitglieder in bewaffneten Gruppen hielten: „Wir kennen viele Namen. Wir würden nicht davor zurückschrecken, sie zu nennen.“ Wie konkret war die Gefahr damals für euch, da ihr wohl zurecht davon ausgehen konntet, dass die ‚Jemand’s‘ (zu denen sich einige Sponti-Wortführer zählten, wie Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Tom Koenigs und Ralf Scheffler) tatsächlich wussten oder ahnten, wer für RZ-Politik in Frankfurt steht. Makabrerweise tut der heutige Außenminister Joschka Fischer so, als habe er von den RZ nie etwas gewusst? Kannst Du zu dieser Kampagne etwas Genaueres sagen?
Ich weiß nur, dass wir die Drohung nicht sonderlich ernst nahmen. Zum einen hatten wir nichts vor, weswegen sie ihre Drohungen hätten ernst machen ‚müssen‘. Zum anderen kannten einige von uns auch Leute bei ihnen, die vorher Unterstützer, wenn nicht sogar Mitglieder gewesen waren. Also ein bisschen Patt war schon dabei!

11. 1980 hast Du Dich mit Daniel-Cohn Bendit getroffen, um über Hans-Joachim Kleins Ausstieg zu reden. Wie ist das Gespräch verlaufen?
Ich habe ihn aus eigener Initiative aufgesucht. Ich hielt Daniel damals für einen solidarischen, ehrlichen Linken, mit dem ich einen Grundkonsens teile. Und daher habe ich ihm erklärt, was Hans-Joachim Klein Falsches verbreitet und ihn (naiverweise?) gebeten, auf Hans-Joachim einzuwirken, dass er zu einer anderen Ebene der Auseinandersetzung zurückfindet.

12. Wurde Dir von Daniel Cohn-Bendit zugesichert, dass Hans-Joachim Klein von diesem Gespräch unterrichtet wird?
Es kam so was Joviales rüber wie: „Wir kennen doch beide den Klein, und dass man nicht alles, was der sagt auf die Goldwaage legen dürfe, sei doch uns beiden klar. Und, man werde mal gucken …“

13. Im OPEC-Prozeß wurden auch Unterlagen der Stasi ausgewertet, die der BRD nach der ‚Wiedervereinigung‘ in die Hände gefallen sind. U.a. auch Dokumente von Geheimdiensten ehemaliger Ostblockstaaten. Wusstet ihr damals bereits, dass die euch gewährte ‚Gastfreundschaft‘ immer auch dazu genutzt wurde, euch zu observieren, abzuhören etc.? Wie erklärst Du Dir den Spagat, auf der einen Seite Unterstützung zu bekommen, im Kampf gegen den gemeinsamen Feind (Imperialismus) und auf der anderen Seite selbst wie ein ‚Feind‘ behandelt zu werden?
Sie behandelten uns ja nicht als Feinde, nur gehörte in ihrer Welt dazu, alles wissen zu müssen, zu wollen. Sie hörten sich ja auch selbst ab, sicherlich! Die Stasi in ihrem Wahn wollte allwissend sein. Als feindlichen Akt habe ich das nicht begriffen, obwohl andererseits die Sache – historisch betrachtet – auf Feindschaft hinausläuft: siehe Spanischer Bürgerkrieg, wo die ‚Kommunisten‘ den freiheitlichen Kämpferinnen und Kämpfern – zumeist Anarchisten, Anarchosyndikalisten bewusst Schaden zufügten, sie auf ‚Todeskommandos‘ schickten etc. Aber da unser gemeinsamer Feind ja recht zählebig war und ist, ist unser ‚Alliierter‘ – gewisse Kreise im Osten – ja vorher verstorben.

14. Im OPEC-Prozess wurde eine dieser Dokumente aus Stasi-Beständen eingeführt. Eine handschriftliche Notiz, die ein Schriftsachverständiger auch eindeutig Dir zuordnete. Der Wortlaut war ungefähr so: „Wir haben Kontakt zu ‚Angie'( Hans-Joachim Klein). Er will aussteigen und eine eigene Gruppe aufmachen…“ Kannst Du erzählen, in welchem Land ihr da ward und unter welchen Umständen diese Notiz zustande gekommen ist?
Ich weiß nur noch, dass es eine Notiz für Wadi Haddad war, aber sonstige Details der Einordnung weiß ich nicht mehr. Ich war auch verblüfft, einen Brief, der auf dem Schreibtisch von Wadi Haddad gelegen war, im Frankfurter Gerichtssaal zu sehen, 23 Jahre später!

15. Du hattest 1977 ein Verfahren am Hals. Um was ging es da?
Das war sicher das Gerichtsverfahren gegen mich als ehemaligen Geschäftsführer der Politladen GmbH in Gaiganz, Oberfranken. Wegen Verunglimpfung der BRD (wir hatten legal ein Buch gedruckt, in dem ein Prof. Sigrist Andreas Baader zitierte, der wiederum die BRD verunglimpfte) und Verkauf des Anarchistischen Kochbuches (die engl. Ausgabe gab es in der Uni-Buchhandlung Erlangen) bekam ich zwei Jahre ohne Bewährung. BGH Karlsruhe kassierte das Urteil ersatzlos wegen Formfehlern der fränkischen Richter.

16. Was hast Du von der Flugzeugentführung nach Entebbe mitbekommen? Und wie habt ihr das Scheitern dieser Aktion verarbeitet. Es gab ja nicht nur massive Kritik an dem ‚Mittel‘ Flugzeugentführung, sondern auch an der Beteiligung von deutschen Militanten (Wilfried Boese und Brigitte Kuhlmann) an der ‚Selektion‘ von jüdischen und nicht-jüdischen Passagieren. Darauf beharrt z.B. auch die RZ in ihrer Erklärung 1990: ‚Gerd Albartus ist tot‘.
Ich hörte im hessischen Radio „live“, wie die Israelis meine Freundin erschossen, und unseren Compañero Boni, die beide im Übrigen keine Geiseln umbrachten, obwohl sie dazu noch reichlich Zeit gehabt hatten. So naiv es heute vielleicht klingt – im Lichte der weiteren Aufhellung deutscher (die Zwangsarbeiter-Firmen!), schweizer (Banken!) und US-amerikanischer (IBM!) Verbrechen in den 30er und 40er-Jahren – haben wir damals – sehr stark zusammengefasst – diese möglichen Effekte ignoriert. Der psychologische Hintergrund für die Naivität oder das fehlende Gespür, wie die Medien und ‚der Feind‘ solche Dinge inszenieren, war, dass unser Engagement gegen Nazideutschland und gegen das kapitalistische und immer noch stark nazidurchgiftete Nachkriegsdeutschland so selbstverständlich war, dass uns jeder Antisemitismusvorwurf als bösartig und absolut taktisch motiviert erschienen ist. Zudem muss man bedenken, dass die meisten von uns aus einer pro-israelischen Einstellung kamen. Brigitte sagte, lass sie diesen Quatsch unter sich breittreten, in der ‚Bild‘‚ ‚Welt‘ etc.. Wir haben damit nichts zu tun. Bei diesem Kampf handelt sich um die Unterstützung des emanzipatorischen Widerstandskampfes eines unterdrückten, verratenen und verkauften Volkes, der Palästinenser, gegen eine arrogante, repressive, gewalttätige bis rassistische Regierung in Tel Aviv, zudem Vorposten der USA im Nahen Osten. Natürlich hat diese Regierung jede Gelegenheit genutzt, Kritik an ihnen als antisemitisch zu brandmarken. Wir sahen uns darüber stehend: da wir keine Antisemiten waren, nichts lag uns ferner, konnte jeder Vorwurf dieser Art nur üble Propaganda sein. Dass diese auch bei gutwilligen Menschen verfangen würde, haben wir damals sicher unterschätzt. Wadi Haddad hat – wie andere Theoretiker und Praktiker vor und nach ihm – das Prinzip verfolgt, dass es „Unschuldige nicht gibt“, und daher hat er die aussuchen lassen, mit denen er den größten Druck auf die Regierungen in Bonn, Tel Aviv etc. ausüben zu können glaubte. Die deutsche, nazistische Verbrechensvergangenheit hatte für ihn als palästinensischen Guerillero im Kampf gegen seine Unterdrücker kaum eine Bedeutung.

17. Zu dem Vorwurf des Antisemitismus an die beiden RZ-Mitglieder, die an der Flugzeugentführung beteiligt waren, sagtest Du, dass ihr die Wirkung der feindlichen Propaganda auch „gutwilligen Menschen“ gegenüber unterschätzt habt. Das ist eine Sache. Für mich heute ist die Tatsache viel schwerwiegender, dass der palästinensische Befreiungskampf, die darin eingebettete Flugzeugentführung unter dem Kommando der PFLP, den eigenen Kampf um nationale Souveränität mit der Leugnung des Existenzrechts Israels verknüpfte. Diese Position halte ich für eine deutsche, militante Linke unvertretbar und nicht teilbar. Habt ihr euch damals mit dieser Frage auseinandergesetzt?
Ich weiß das nicht mehr in Einzelheiten, nur noch ungefähr, dass das Gerede vieler Palästinenser vom „Ins Meer Werfen“ schon vorbei war, nicht mehr aktuell, dass wir diese Position weder teilten noch ernst nahmen. Wie sich später zeigte, war es ja auch eher eine taktische Höchstforderung, um von dort aus herunterzuverhandeln. (Wie die BRD immer die DDR nicht wahrzunehmen versuchte, als radikale Ausgangsposition …) Und offenbar wird das Existenzrecht eines Staates Palästina nach wie vor von Israel nicht anerkannt, umgekehrt schon lange!

18. Neben dem politischen Scheitern sind auch beide, an der Aktion beteiligten RZ-Mitglieder, Winfried Boese und Brigitte Kuhlmann, der Du sehr nahe standest, ums Leben gekommen. Welche Konsequenzen hast Du, welche Schlussfolgerungen hat die RZ daraus gezogen? Worum hast Du Dich bis zu Deinem Ausstieg 1977 bemüht?
Ich weiß noch, dass wir wegen des Todes der beiden ziemlich verzweifelt waren und der unnötigen Umstände, die es erst den Israelis möglich machten, diesen Angriff durchzuführen (ständige Verlängerung der Fristen, alle Geiseln am Flugplatz lassen etc.). Nach fürchterlichen Racheplänen, die wir nicht umsetzten, da wir das Prinzip „Es gibt keine Unschuldigen“ nicht übernehmen wollten, wurde überall überlegt, wie es weitergeht. Einige scheinen den Kampf an sozialen Brennpunkten in der BRD fortgeführt zu haben, andere machten eigene internationale Gruppen auf, die Palästinenser machten einen weiteren Versuch in Mogadischu, der ebenfalls vereitelt wurde. Ich näherte mich meinem Ausstieg.
Mein Ausstieg war Folge dieser Erfahrungen. Wir hatten öfter den Spruch drauf, dass man nicht aufhören darf zu kämpfen, und wenn es eben noch 500 Jahre dauert, dann eben solange. Jetzt aber wurde ich mir bewusst, dass die Gegenseite militärisch, geheimdienstlich etc. so stark ist, dass wir keine Aussicht hatten, voranzukommen. Immer mehr würden in den Knast kommen oder umgebracht werden, entweder bei Aktionen oder kaltblütig erschossen, wie es israelischer Geheimdienst, französische und deutsche Polizei etc. etc. ja öfters demonstrierten. Ich habe gesagt, 500 Jahre haben wir nicht mehr. Die Welt wird vorher zerstört werden. Wir brauchen neue Formen, Ansätze ganz anderer Art. Also machte ich ernst mit der zunehmenden Ökobewegung und wurde Bio-Rancher. Diese Meinung wurde nicht generell geteilt, aber respektiert. Auch andere sind nach mir sanft und reflektiert aus den RZ ausgestiegen.

19. War für Dich bereits damals erkennbar, dass sich die RZ faktisch gespalten hat? Zumindest das RZ-Papier: ‚Gerd Albartus ist tot‘ deutet solche schwerwiegenden und unüberbrückbaren Auseinandersetzungen an, die jedoch sehr lange, zu lange unter den Teppich gekehrt wurden?
Ich habe die ganze Auseinandersetzung nach Gerds Tod nicht mit bekommen, da ich in Nicaragua arbeitete. Erst als Freunde aus Deutschland und das BKA mir (denselben) Zeitungsartikel zusandten, habe ich wieder mal etwas von den RZ gehört, fast mit 10 Jahren Abstand!

20. Anfang der 90er Jahre wurde ein Ermittlungsverfahren wegen RZ-Mitgliedschaft gegen Dich eingeleitet. Was wurde Dir vorgehalten und wie ging das Verfahren aus?
Das ging los mit dem Besuch von KHK Krupp im Winter 1992, der sich als Nachlassverwalter der Stasi vorstellte. Man ermittelte wegen Rädelsführerschaft in der RZ. Da die Verjährungsfrist von 10 Jahren vorbei war, hat man monatelang versucht, irgendetwas gegen mich zu finden, was jüngeren Datums war- vergeblich. Irgendwann stellte der Bundesanwalt Beese das Verfahren ein.

21. In diesem Zusammenhang schickte Dir das BKA das RZ-Papier ‚Gerd Albartus ist tot‘ nach Nicaragua. Warum kümmerte sich das BKA so rührselig um die Verbreitung von RZ-Erklärungen?
Kriminalhauptkommissar Krupp hatte mir 1992 gesagt, dass er mich zwar nicht festnehmen könne, aber er habe ja noch die ‚Berliner Schiene‘ (die Aktivitäten der mutmaßlichen RZ-Gruppe in Berlin) und bei aller Sympathie, die er „menschlich für mich“ habe, sei ich im Übrigen derjenige, der Gerd nach seiner Entlassung mit „denen“ wieder zusammengebracht habe. Ich sagte ihm, er sei mir auch nicht unsympathisch, aber dieses stimme nun wirklich nicht. Damals glaubte er mir das noch nicht und schickte mir- mahnend, appellierend- jenen Artikel zu. Ich konnte ihm wirklich nicht helfen, denn leider habe ich meinen Freund und Kampfgefährten Gerd Albartus das letzte Mal vor seinem Prozess gesehen.

Das Interview führte Wolf Wetzel für das Buch:

Die Hunde bellen … Von A bis (R)Z. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Unrast Verlag 2001

68 – als Staatsbegräbnis

Das Scheitern der 68er* als Erfolgsstory

The good, the bad and the ugly

In jedem politischen Strafverfahren wird mehr als Recht gesprochen, wie in dem im Februar 2001 abgeschlossenen OPEC-Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt, wo zwei mutmaßliche RZ-Mitglieder auf der Anklagebank saßen. Dort ging es gleichermaßen darum, die Geschichte militanter, bewaffneter Kämpfe (aus-)zu richten – als »Todestrip« (Joschka Fischer), »gekennzeichnet von Zynik und Gefühllosigkeit« (Hans-Joachim Klein), als »Irrweg« (Joschka Fischer), der «eine gerechtere und humanere Welt versprach – und dabei zu Mitteln und Methoden griff, für die ich früher auf die Straße gegangen wäre« (Hans-Joachim Klein).

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Wie alles anfing…

Wie alles anfing…

Es müsste so Anfang der 80er Jahre gewesen sein. Eines Tages rief mich ein Freund aus Berlin an und fragte, ob zwei Genossen bei uns für zwei Wochen schlafen könnten. Sie hätten in der Nähe von Frankfurt eine Fortbildung in Fotosatz und suchen deshalb eine Übernachtungsmöglichkeit.

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Die letzte Schlacht gewinnen wir

»Die letzte Schlacht gewinnen wir…« Ein Scheingefecht zwischen Massenmilitanz und bewaffnetem Kampf

Die nächsten Wochen verbringt Hans-Joachim Klein in einem Militärcamp der PFLP, wo er sich auch von der schweren Schussverletzung erholt. Dort finden auch die ersten Gespräche über das Scheitern der OPEC-Aktion statt.

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Down by law- Im Hause staatlicher Kronzeugenpräparateure?

Down by law-
Im Hause staatlicher Kronzeugenpräparateure?

Am 8.September 1998 machte sich Dirk von seinem kleinen Häuschen im Weiler ‚La Dandiere‘ in der Normandie auf den Weg zu dem zwei Kilometer entfernten Dorf Sainte-Honorine-la-Guillaume. Dort wollte er in der Brasserie ‚La Coulande‘ einkehren, in der er als Stammgast seit Jahren bekannt ist. Doch anstatt den Abend ausklingen zu lassen, kam alles ganz anders. Kaum hatte er an einem der Tische Platz genommen, überrumpelten ihn Zielfahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) in Zusammenarbeit mit der französischen Polizei , legten ihm Handschellen an und verfrachteten ihn in einen Polizeiwagen.
Für die Leute in der Kneipe war Dirk ein netter Kumpel, für das deutsch-französische Anti-Terror-Kommando war Dirk der seit 22 Jahren mit Haftbefehl gesuchte Hans Joachim Klein.

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