Jahresrückblick: Polizistenmord in Heilbronn 2007

Die Büchse der Pandora
Jahresrückblick: Polizistenmord in Heilbronn. Der dem NSU angelastete Anschlag aus dem Jahr 2007 wirft viele Fragen auf

Der Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn am 25. April 2007 wird den beiden mutmaßlichen Mitgliedern des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU), Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, zugeschrieben. Neben den mittlerweile standardisierten »Pannen« bei Ermittlung und Fahndung unterscheidet sich dieser Anschlag durch zweierlei von der Terror- und Mordserie des NSU: Zum ersten Mal sollen Polizisten das Ziel neonazistischen Terrors gewesen sein. Zweitens seien die beiden Polizisten pure Zufallsopfer gewesen, denn es sei um einen Angriff auf »Repräsentanten des Staates« und um bessere Waffen gegangen, wenn man Beate Zschäpes Einlassung glauben will.
Beides ist mehr als unglaubwürdig. Das angebliche Motiv ist an Haltlosigkeit nicht zu übertreffen: Wenn es ganz abstrakt um »Repräsentanten des Staates« gegangen wäre, dann hätte man nicht über 400 Kilometer fahren müssen, um zufällig auf eine Streifenwagenbesatzung zu stoßen, die auf der gut einsehbaren Theresienwiese Pause gemacht haben soll, während um sie herum über hundert Aussteller ein anstehendes Volksfest vorbereiteten.

 

Festplatz-Theresienwiese-Heilbronntz

Dass Beate Zschäpe dieses haltlose Motiv mit ihrer verlesenen Aussage vor dem Münchner Oberlandesgericht durch ein noch haltloseres zu bandagieren suchte, macht die Sache nicht besser: Wenn es dem NSU an etwas nicht gefehlt hat, dann an Waffen. Über ein Dutzend befanden sich in seinem Besitz.
Man darf annehmen, dass die Staatsmacht bei einem Polizistenmord alles unternimmt, um die Täter zu finden. Warum wurde das nicht gemacht?

Standardisierte »Pannen«

Zahlreiche Zeugen haben im April 2007 vier bis sechs Personen unmittelbar in Tatortnähe gesehen und beschrieben. Auch der schwer verletzte Polizist Martin A. erinnerte sich an eine Person, die keine Ähnlichkeiten mit den beiden Verdächtigen vom NSU hat. Das deckt sich mit den Erinnerungen der Zeugen, mit deren Hilfe Phantombilder erstellt wurden.

Phantombilder-Galerie

Die polizeilichen Ermittler wollten mit diesen Phantombildern fahnden, die Staatsanwaltschaft lehnte dies ab. Das ist keine Panne, sondern ein Außerkraftsetzen gängiger Ermittlungsmethoden.
Für die Tatbeteiligung der beiden NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gibt es bis heute keinen einzigen Zeugen, kein einziges Indiz, keine einzige Spur am Tatort. Alle Spuren, die noch vorhanden waren, führen zu anderen Tätern.
Das einzige, was die Anklagevertretung als »Beweise« für die Täterschaft der toten NSU-Terroristen anführt, sind die beiden im Campingwagen gefundenen Dienstpistolen der niedergeschossenen Beamten und eine Jogginghose, die man gut erhalten im Schutt der ausgebrannten Wohnung in Zwickau im November 2011 gefunden haben will.
Dies belegt erst einmal nur, dass jemand diese »Beweise« dort gefunden, aber noch lange nicht, wer diese dort aufbewahrt hat. Nicht einmal der dümmste Kleinkriminelle würde die Waffen mit sich führen, die ihn mit einem Polizistenmord in Verbindung bringen würden. Warum sollten die NSU-Mitglieder, denen ein hohes Maß an Konspirativität bescheinigt wird, Beweismittel mit sich herumführen und -fahren, die ihnen lebenslange Haft garantieren?

Zu kurz gegriffen

Für die These der Anklagevertretung gäbe es einen überragenden Beweis, um solche Zweifel auszuräumen. Als der Campingwagen von Mundlos und Böhnhardt nach einem Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 ausbrannte, löschte die Feuerwehr die Flammen. Im Rahmen der Dokumentation wurden Bilder angefertigt, auch vom Inneren des Wohnmobils. Als Michael Menzel, damaliger Leiter der Polizeidirektion Gotha, am Tatort eintraf, bestand seine erste Amtshandlung darin, die Kamera der Feuerwehr zu beschlagnahmen. Zur Begründung gab er an, dass er vermeiden möchte, dass die Bilder »in falsche Hände« gelangen. Nachdem die Beseitigung dieses Beweismittels öffentlich wurde, suchte die Polizei lange nach der beschlagnahmten Kamera – und fand sie schließlich auch. Man gab sie zurück, samt Speicherkarte. Diese hatte nur eine Auffälligkeit: Alle Bilder waren gelöscht, und zwar auf eine Weise, die es unmöglich macht, sie zu rekonstruieren.
Ohne ein allzugroßes Wagnis einzugehen, kann man festhalten: Würden die Fotos der Feuerwehr genau die Spurenlage wiedergeben, die der Anklageschrift zugrunde liegt, wäre der Speicher nicht professionell gelöscht worden.
Und was ist mit der gefundenen Jogginghose? Was beweist eine Jogginghose, an der sich Blutanhaftungen der Polizistin Michèle Kiesewetter befinden? Die in der ARD ausgestrahlte Dokumentation »Die Akte Zschäpe – die letzten Rätsel des NSU« ging dem nach:

»Im laufenden Verfahren zum NSU vor dem Oberlandesgericht in München vertritt die Bundesanwaltschaft die Zwei-Täter-Theorie: Zentrales Beweismittel dafür ist unter anderem ein Gutachten über eine Trainingshose, an der winzige Blutspritzer von Michèle Kiesewetter gefunden wurden. In den Hosentaschen steckten zwei Tempo-Taschentücher mit DNA von Mundlos. Laut Bundesanwalt Herbert Diemer ein eindeutiger Beweis, dass es sich um die Hose von Mundlos handelt. Der Kriminologe Prof. Feltes und der Rechtsmediziner Prof. Michael Bohnert von der Uni Würzburg halten diese Schlussfolgerung für zu kurz gegriffen, denn Taschentücher könne man von A nach B bewegen: ›Wenn man wissen will, ob diese Hose von einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt getragen wird, dann kann man sich schlecht auf Tempo-Taschentücher verlassen, die in diesen Hosentaschen gefunden wurden‹, so Professor Michael Bohnert, Rechtsmediziner an der Universität Würzburg.«

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass »die Bundesanwaltschaft im Interview mit der ARD einräumen (musste, jW), dass innen in der Trainingshose keine DNA von Mundlos gefunden wurde. Für Clemens Binninger sind die winzigen Blutspuren von Michèle Kiesewetter eher deutliche Hinweise darauf, dass der Träger dieser Hose beim Mord dabei war, aber nicht der Schütze war. ›Also muss der Träger dieser Hose zwar nebendran gestanden sein und vielleicht geholfen haben, aber geschossen hat er eher nicht. So lese ich das Gutachten‹, so Clemens Binninger, ehemaliger Obmann der CDU im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU.«

Vor Aufklärung schützen

Folgt man diesen Einschätzungen, dann belegt die so gefundene Trainingshose, mit so plazierten Taschentüchern, genau das Gegenteil: Für die unmittelbare Täterschaft kommen die beiden toten NSU-Mitglieder nicht in Frage. Es muss eine dritte Person im Spiel sein, sowohl mit Blick auf den Tatort als auch hinsichtlich der Inszenierung von Belastungen.
Wenn man die öffentlich vorliegenden Indizien, Zeugenaussagen und Spuren verschiedenen Geschehensabläufen zuordnet, also die üblichen Ermittlungsmethoden tatsächlich anwendet, dann kommt man zu einem eindeutigen Ergebnis: Für eine unmittelbare Tatbeteiligung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gibt es weder Zeugen noch Indizien. Die Hinweise und Spuren, die es gibt, weisen auf andere Täter hin, die es nach Diktion der Generalbundesanwaltschaft, nach dem Urteil der Medien nicht geben darf.
Warum wird bis heute nicht nach anderen oder weiteren Tätern gefahndet? An den vielen Spuren kann es nicht liegen. Nirgendwo gab es so viele Zeugen wie im Fall Heilbronn. Dafür gibt es nur einen nachvollziehbaren Grund. Man will unter allen Umständen Personen und Zusammenhänge schützen, die mehr zählen, als die Aufklärung eines Mordanschlages auf Polizisten.

Wolf Wetzel

Tageszeitung Junge Welt vom 05.01.2016 / Inland / Seite 4

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2015/3. Auflage

 

2 Antworten to “Jahresrückblick: Polizistenmord in Heilbronn 2007”

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