Das Ultimatum an die katalonische Regionalregierung läuft

Wir setzen die Debatte um das Unabhängigkeitsbestreben Kataloniens fort:

Im ersten Teil ging es darum, in überschaubarem Umfang die katalanische Unabhängigkeitsbewegung zu beschreiben: „Kann man einen (katalanischen) Nationalismus links wenden?

Der zweite Teil ging dem gewichtigen Einwurf nach, ob der Blick auf die letzten zehn Jahre viel zu kurz gegriffen sei: https://www.rubikon.news/artikel/unabhangigkeit-fur-katalonien

 

In diesem dritten Teil geht es darum, hinter den Rauch zu schauen, der immer dichter wird.

Auf das Angebot der katalonischen Regierung, mit der Zentralregierung zu verhandeln, kam ein Ultimatum: Bis zum Montag, den 16. Oktober 2017 verlangt Madrid eine schriftliche Erklärung, ob Katalonien seine Unabhängigkeit erklärt habe. Sollte dies der Fall sein, werde die Zentralregierung die Regionalregierung absetzen und die Zwangsverwaltung in die Wege leiten.

Die Uhr tickt, die Gerüchte über gegenstandslose und doch geführte Verhandlungen nehmen zu … und es bleibt dennoch Zeit, hinter den Rauch zu schauen.

Zerrinnende Zeit-Dali

Raul Zelik hat auf häufig gestellte Fragen und die Tatsache, dass das Für und Wider einer Unabhängigkeit auch durch die Linke (in Deutschland) geht, mit dreizehn Thesen reagiert.

Raul Zelik schätze ich. Er hat einige Bücher geschrieben, die diesen Konflikt berühren, wie zum Beispiel „Mein bewaffneter Freund“, in dem es auch um die baskische Unabhängigkeit geht.

Er hat sich sehr oft politisch Stellung genommen und sich politisch eingemischt.

Raul Zeliks Thesen sind deshalb wichtig, weil sie einen Teil meines Herzens berühren. Natürlich wünscht man sich einen politischen Prozess (auch in Katalonien), der über einen Nationalismus, über eine Ethnisierung der sozialen Fragen hinausgeht. Noch mehr wünscht man sich, dass diese Teilmengen im Lauf eines politischen, vielleicht sogar revolutionären Prozesses herausgespült werden – was wir in vielen politische Bewegungen erlebt und unterstützt haben.

Und selbstverständlich ist es eine Wohltat, wenn überhaupt einmal in Europa der Wind „links“ weht, und die zentrale Konfliktlinie nicht zwischen Innen (Inländer) und Außen (Ausländer/Flüchtlinge), sondern zwischen Oben und Unten verlaufen würde.

Und es gibt auch die andere Seite, die mit diesen Sympathien, Erfahrungen und Enttäuschungen erst entstanden ist: Das Misstrauen gegenüber „nationale Unabhängigkeitsbewegungen“, in denen „David“ gegen „Goliath“ tapfer kämpft, ohne zu sagen, wer „David“ ist und was „David“ im Detail von „Goliath“ unterscheidet, außer dass er viel kleiner ist …

Deshalb ist beides wichtig: Die Begeisterung für einen solchen politischen Prozess und die unangenehmen Fragen!

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Erkärt sich morgen Katalonien unabhängig?

Geschichte ist kein Laufband, das schnurgerade in die Gegenwart weist

Teil II

Im ersten Teil ging es darum, in überschaubarem Umfang die katalanische Unabhängigkeitsbewegung zu beschreiben: „Kann man einen (katalanischen) Nationalismus links wenden?

Keine-Angst-Barcelona-2012

In diesem zweiten Teil geht es darum, einem wichtigen Einwand nachzugehen: Sich auf die letzten zehn Jahre zu konzentrieren, sei viel zu kurz gegriffen, um das Unabhängigkeitsbestreben in Katalonien zu verstehen, so der Einwurf.

Gehen wir also diesem Einspruch nach. Folgen wir der Geschichtsspur und fragen dann, was sie uns mehr und vor allem, was sie uns heute sagt.

Dabei werden wir auf eine Gemeinsamkeit fast aller (nationaler) Unabhängigkeitsbewegungen stoßen. Sie verweisen auf eine ganz lange Geschichte des Unabhängigkeitswillens, der Unterdrückung und der „kulturellen“ Eigenart.

Die einen gehen dabei ganz, ganz weit zurück, ins Jahr 1713/14:

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No nos representan! (Sie repräsentieren uns nicht!)

No nos representan! (Sie repräsentieren uns nicht!)

Ein mehrspuriger Streifzug durch die verschiedenen Bewegungen in Spanien von 2006 bis 2012.

Von Anja Steidinger

Auszug aus dem Buch: Aufstand in den Städten – Krise, Proteste, Strategien, Hg. Wolf Wetzel, Unrast Verlag, 2012

 Alles, was ich mir wünsche, ist wieder als Taxifahrer arbeiten zu können, um meine Familie zu ernähren, meinem Sohn ein Eis kaufen zu können – ich bin kein politischer Handelnder, ich bin auch kein Hausbesetzer – ich möchte meine Familie, meine Arbeit, meine Wohnung.

So beschreibt José R., 52 Jahre, arbeitsloser Taxifahrer, seine soziale Lage. Er beginnt, nachts Taxis zu stehlen, um auf diese Art und Weise seinen Beruf als Taxifahrer nachzugehen: Kunden in der katalanischen Hauptstadt Barcelona von A nach B zu fahren. Die entwendeten Taxis parkt er nach erledigter Arbeit am Straßenrand und hinterlässt im Handschuhfach einen Umschlag mit Geld für den Benzinverbrauch.

Als ihm die Polizei nach mehreren Verhaftungen mit Gefängnis droht, wendet er sich an das Kollektiv Dinero Gratis (“Wir wollen keine Arbeit, wir wollen Geld. Geld umsonst!”)[1], das ihn davon überzeugen will, dass das Taxistehlen keine kriminelle Handlung, sondern eine politische Geste gegen das kriminelle System des Kapitalismus ist, in dem sich jede/r Einzelne selbst überlassen bleibe. Der anarchosyndikalistische Rechtsanwalt Francesc Arnau bietet José an, ihn zu verteidigen und begründet das Taxistehlen mit Josés Recht, gegen die ihm widerfahrende soziale Ungerechtigkeit der Arbeitslosigkeit anzugehen. Für José aber ist klar, er möchte weder ein politischer Held sein, weder Geld geschenkt bekommen, noch Häuser oder Plätze besetzen. Er fordert lediglich eine würdige Arbeit, einen würdigen Wohnraum –und er möchte auf keinen Fall ins Gefängnis.

Spanien-19N - 2011/12

Nehmt euch die Strasse

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