28.8.2010 – Über die Mächtigkeiten von Banken…(aktualisiert)

im Kapitalismus und im antisemitischen Weltbild.

Wenn zur Blockade von Banken aufgerufen wird, hat man es nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern mit einem Sack voller Bedenken, Zweifel und Vorbehalte. Die guten Gründen sind einfach zu benennen: Nirgendwo anders liegen Überschneidungen zwischen antisemitischen Stereotype, antisemtischen Verschwörungstheorien und antikapitalistischer Kritik – auf den ersten Blick – so nahe, wie beim Thema ›Banken‹ und ›Finanzkapital‹.

Wenn man den Finanzsektor in Mittelpunkt einer Kampagne stellt, handelt man sich ebenso schnell den Zwischenruf ›verkürzter Kapitalismuskritik‹ ein, womit der Vorwurf einhergeht, man bediene populistische Reflexe und lenke damit vom ›Eigentlichen‹ ab.

Will man diesen Bedenken und Vorwürfen nachgehen, wird man um die Beantwortung folgender Fragen nicht herumkommen: Wer hat diese Krise verursacht? Welche Rolle spielt der Finanzsektor beim Zustandekommen der größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg? Lenkt der Blick auf die Rolle und Bedeutung der Banken vom ›Eigentlichen‹, der kapitalistischen Wirtschaftskrise und Wirtschaftsweise ab? Vermeidet man antisemitische Ausdeutungen, wenn man sich der Bedeutung des Finanzsektors nicht stellt, sie nicht wahrnimmt?

Wer verkürzt wen und was?

Vorausgesetzt, man ist sich einig, dass die Antwort: ›Der Kapitalismus ist an allem schuld‹ zu wenig ist, wird man sich auf die Suche begeben müssen, was sich innerhalb des Kapitalismus in den letzten 20 Jahren verändert hat, welche ökonomischen, politischen und gesellschaftliche Machtverschiebungen stattgefunden haben, die erklären helfen, was fast zum weltweiten Kollaps des Kapitalismus geführt hätte.

Mit diesem Beitrag soll eine Debatte eröffnet werden, in der Hoffnung, das man aufhört, darüber zu reden, was der/die andere gemeint haben könnte, was man ihm/ihr unterstellt, mit dem Ziel darüber zu streiten, was die politisch unterschiedlichen Akteure tatsächlich gesagt haben bzw. dazu sagen werden.

Die Krise hat Gesichter und Namen – Personalisierungsfragen

Auf dem Aktionsfeld ›Banken‹ trifft man automatisch viele prominente Gesichter, wie Josef Ackermann, wie den Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn usw.

Wenn man ihre Bedeutung in Erinnerung ruft, bedeutet das nicht, dass die Krise dadurch bewältigt ist, indem man z.B. Josef Ackermann festnimmt (wie dies der Bundespräsidenten-Kandidat der Linken Peter Sodann machen wollte) und in den Knast steckt. Genauso falsch wäre es zu glauben, diese ›Reizfiguren‹ hätten persönliche Fehler gemacht. Im Gegenteil: In den aller meisten Fällen darf man davon ausgehen, dass sie alles richtig gemacht haben. Sie wissen um die Spielregeln, sie legen sie mit fest, sie wissen, dass sie in der Regel zu ihren Gunsten ausgelegt werden und wenn sie kriminell sind (wie bei den zahlreich aufgedeckten Bestechungs- und Korruptionsverfahren, Steuerhinterziehungsaktionen), können sie sich sicher sein, dass die Strafe (in aller Regel eine Einstellung gegen Bezahlung einer piepsigen Geldsumme) einer Belobigung gleichkommt. Dass Banken und ihre Führungsetagen also Milliarden an Euros ihrer eigenen Bank und ihrer Kunden aufs Spiel setzen (und dabei verlieren) hat nichts mit dem gewissenlosen Charakter der Akteure zu tun, sondern mit einem äußerst kalkulierten Vorgehen, das dieses Risiko ermöglicht, erwartet und ggf. risiko- und haftungslos verstaatlichen und jetzt sozialisieren wird.

Apropos Personalisierung: Wäre es nicht fruchtbar, wenn man die Gefahr der Personalisierung nicht nur allen anderen zuschreibt, nur nicht sich selbst? Wenn Antifas mit viel Aufwand und Energie die Vita einzelner Nazi-Größen recherchieren, ihre Rolle und Bedeutung innerhalb neofaschistischer Strukturen offen legen, Outing-Aktionen starten, Bilder ins Netz stellen, um sie aus der Anonymität herauszuholen, personalisieren sie dann auch? Eine wirklich solidarische Debatte über Notwendigkeiten und Grenzen von Personalisierungen würde die je eigenen Praxen nicht ausblenden, sondern zum gemeinsamen Ausgangspunkt machen – und allen sehr viele Scheingefechte ersparen.

Spekulationen über verkürzte Kapitalismuskritik

Wer einen Aufruf macht, eine Bank, mehrere Banken zu blockieren, muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass damit gemeint sein könnte, dass an der größten Krise des Kapitalismus nach 1945 ›die Spekulanten‹ schuld seien. Damit nähere man sich auf gefährliche Weise dem nationalsozialistischen Weltbild, antisemitischen Verschwörungstheorien. In diesen gibt es den Topus des ›reichen/jüdischen Spekulanten‹, das ›raffende Kapital‹, das das ehrbare, schaffende, arische Kapital in Grund und Boden richtet. Unschwer zu erkennen ist, dass der Spekulant im Antisemitismus eine ethnische, eine rassistische Größe ist, das Gegenbild zum ehrbaren, rechtschaffenen deutschen Volk. Hinter dem antisemitischen Topus des Spekulanten verbirgt sich also weder eine (Deutsche) Bank, noch ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, sondern der heimat- und vaterlandslose Jude. Weder in der Ideologie, noch in der Praxis des Antisemitismus ging es, geht es darum, die Macht der Banken, des Finanzsektors anzutasten oder gar zu brechen. Ganz im Gegenteil: »Sie haben an der Zerstörung der Weimarer Demokratie aktiv mitgewirkt und dann Hitlers Rüstungs- und Kriegspolitik unterstützt. Sie haben den Bau von Auschwitz vorfinanziert, an Zwangsarbeit, an der ›Arisierung‹ jüdischen Eigentums, am Auschwitz-Gas Zyklon B, an den Bomben und Granaten nahezu aller Kriege, an den Eroberungen der Deutschen Wehrmacht und der Wiederaufrüstung der Regierung Adenauer kräftig profitiert.« (Bündnis gegen Bankenmacht – Was es will, was es könnte! 2000, Prof. Hans See, seit 2005 Herausgeber der Vierteljahreszeitschrift ›BIG Business Crime‹)

Wer also behauptet, die Kritik am Finanzsektor, die Forderung nach Verstaatlichung bis hin zur Zerschlagung von systemischen Banken bediene antisemitische Ressentiments, bekämpft nicht den Antisemitismus, sondern fällt auf seine antikapitalistische Rhetorik herein.

Im Antikapitalismus geht es darum, die Macht (auch) von Banken über Menschen und Leben zu verfügen, zu brechen – ganz egal, mit welcher Hautfarbe diese Kapitalverbrechen begangen, mit welcher Ideologie sie verkleidet, in welche Ethik sie verpackt werden.

Die Unterscheidung in ›gutes‹ und ›böses‹ Kapital ist also im besten Fall dumm, im schlechtesten Fall antisemitisch.

Wer mit Staatsanleihen, Rohstoffen oder Aktien spekuliert, handelt nicht weniger moralisch oder ethisch als jene, die ihren Profit aus der Verwertung und Vernutzung von Menschen ziehen. Weder Moral, noch Ethik bestimmen dieses Wirtschaftssystem, sondern die Aussicht auf Gewinn. Das ist die einzige Maxime, die zählt.

Zweifellos spielen ›systemrelevanten‹ Banken eine herausragende Rolle beim Zustandekommen der derzeitigen Krise wie bei der Abwälzung der Krise nach unten (Entlassung von MitarbeiterInnen, Beraterstäbe bei den zahlreichen ›Rettungsschirmen‹, Erarbeitung und Umsetzung von Verarmungsprogrammen). Ihre Rolle und Bedeutung in den Mittelpunkt zu stellen, heißt also nicht, zu vergessen, dass die jeweiligen Regierungen alles getan haben (wie zum Beispiel durch die zahlreichen ›Finanzmarktreformen‹), damit die Finanzinstitute in diesem Finanzkrieg freie Hand haben.

Außerdem trägt der Aktionsaufruf dem besonderen Umstand Rechnung, dass manche Banken mehr als eine privatkapitalistische Bank sind, die bei verlustreichen Geschäften pleite geht. Im Mittelpunkt stehen ›systemrelevante‹ Banken. Diese Bedeutung haben sie nicht, weil besondern fiese Chefs diese Geschäfte führen. Ihr Systemrelevanz bekommen sie aufgrund struktureller Bedingungen: Große Banken wie die Hypo Real Estate, die Commerzbank oder die Deutsche Bank handeln mit einer Quasi-Staatsgarantie, sie üben ein hoheitsstaatliches Monopol aus, indem sie die ›Liquidität‹ dieses Systems garantieren sollen. Diese Unentbehrlichkeit mündet bekanntlich in die einzige kostenlose Lebensversicherung: ›To big to fail‹ (Zu groß, um zu stürzen). Sie können viele ruinieren – nur nicht sich selbst.

Banken – die Rattenlinie der kriminellen Ökonomie

Die zahlreichen Steuerhinterziehungsskandale, der Medienrummel um aufgekaufte CD’s mit Bankdaten von potenziellen Steuerhinterziehern machten in den letzten Monaten und Jahren immer wieder Schlagzeilen. Ab und an musste auch ein Prominenter dran glauben: wie der ›Bäderkönig‹ Eduard Zwick oder der Ex-Post-Chef Zumwinkel. Das ist gut fürs Image – gegen die weit verbreitete Ansicht: die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Letzteres ist Gang und Gäbe – in großem Stil.

Ganz still wird es hingegen, wenn es um die Frage geht: Wer besorgt dieses filigrane Geschäft? Wie kommen die Milliarden ins Ausland, auf Konten von Banken, Stiftungen und Treuhandgesellschaften? Nur noch im ›Tatort‹ oder bei der hessischen CDU (auf einer Raststätte) wird das Geld im Koffer über die Grenze geschafft oder an einen Mittelsmann an einer dunklen Straßenecke übergeben. Im wirklichen Leben besorgen das Banken, diskret, professionell und durch besonders geschultes Personal.

Dieses illegale Tunnelsystem, durch das Milliarden von Euros ins Ausland geschleust werden, ist nicht nur hochkomplex, es ist auch vielseitig verwendbar. Es hat Dual-Use-Charakter: Es werden eben nicht nur vermögende Privatpersonen durch diese Pipelines gelotst, sie sind ein Abfallprodukt einer ganz anderen Form von organisiertem Verbrechen, eines kriminellen Systems, das staatstragende, staatsaffine Aufgaben erfüllt.

Wenn zum Beispiel der Siemenskonzern, der zweifellos eine systemische Größe im ökonomischen und politischen Sinne darstellt, Milliarden spurlos ins Ausland transferiert, dann geht es nur ganz beiläufig, geradezu unbeabsichtigt um Steuerhinterziehung. Der eigentliche, wesentliche Grund sind außerbilanzielle Geschäftsaktivitäten. Wenn Siemens Regierungen kaufen, durch Bestechungen Milliarden-Aufträge akquirieren, dann lässt sich das schlecht im Geschäftsbericht einpreisen und deklarieren. Man braucht also illegale Kassen, aus denen man diese Operationen finanziert. Geld, das keine nachweisbare Herkunft vorweist, Geld, das nicht zurückverfolgbar ist, Geld, das es nicht gibt. Gewöhnlich benutzt man dafür seine Hausbank, die ihre ganze Kompetenz einbringt, Geld spurlos ins Ausland zu transferieren, um von dort aus besagte Wirtschaftskriminalität in die Wege zu leiten.

Wenn die CDU illegale Spenden von Großfirmen und Millionären in einer Stiftung in Liechtenstein ›waschen‹ lässt, dann braucht sie dafür eine verschwiegene Bank. Mit deren Hilfe wurde die ›Stiftung Zaunkönig‹ gegründet, deren einziges Ziel es war, die Sponsoren aus Industrie und Politik zu anonymisieren. ›Kriegskasse‹ nannten sie es, mit dem Ziel, einen schmutzigen und rassistischen Wahlkampf in Hessen (1999) zu finanzieren, den man ohne diese anonymen Financiers nicht zu gewinnen glaubte.

Aber auch staatliche Institutionen bedienen sich dieses Tunnelsystems: Wenn der Bundesnachrichtendienst/BND den Auftrag von Regierungs- und Oppositionsparteien bekommt, das rätedemokratische Modell der ›Volksmacht‹ im Zuge der ›Nelkenrevolution‹ in Portugal 1974 mit allen Mitteln zu bekämpfen, dann schickt der BND keinen Kofferträger mit 30 Millionen Mark los, um ihn konterrevolutionären Kräften an einem dunklen Ort in Lissabon zu übergeben. Selbstverständlich verfügt auch der BDN über getarnte Auslandskonten, die denselben Weg der Anonymisierung gehen wie den der schlagzeilenträchtigen Steuerhinterzieher.

Wer glaubt, dass es sich dabei um kleine, ökonomisch vernachlässigbare Größenordungen handelt, der täuscht sich gewaltig: »Der deutsche Staat wird durch Steuerhinterziehung jährlich um schätzungsweise 100 Milliarden Euro betrogen. Dies sagte Finanzminister Peer Steinbrück am Donnerstag im Bundestag in der Debatte über das neue Gesetz gegen Steuerflucht.« Basler Zeitung vom 7.5.2009

Die Macht des Finanzsektors – wer regiert wen?

Hinter dem Wort ›Systemrelevanz‹ von großen Banken verbirgt sich keine Übertreibung, sondern ökonomische Macht. Die HypoReal Estate z.B. hatte in ihren Geschäftsbilanzen ›toxische‹, also wertlos gewordene Papiere in der Größenordnung eines fast kompletten Bundeshaushaltes[1]: »Die Hypo Real Estate ist (…) dabei, toxische Wertpapiere und ganze Unternehmensbereiche im Volumen von bis zu 210 Milliarden Euro in eine große ›Bad Bank‹ auszugliedern und sich damit von diesen Risiken zu trennen.« (FR vom 20.7.2010)

Wäre dieser Verlust realisiert worden, die Bank also Pleite gegangen, hätte in der Tat die Gefahr einer ›systemischen‹ Kettenreaktion bestanden, die den gesamten Finanzsektor zur Erliegen gebracht hätte. Im Sinne der Systemerhaltung musste also diese Bank ›gerettet‹ werden, indem der Staat durch ihre Verstaatlichung und Gründung einer ›Bad Bank‹ für diese Verluste aufkam. ›Too big to fail‹, zu groß, zu mächtig, um zu fallen, nennt man dieses Prinzip in der Business Class. Anders formuliert: Eine so große Bank kann selbst angesichts ihres drohenden Unterganges als Erpresser auftreten und überleben. Welche Macht hat also eine ähnlich bedeutsame Bank (z.B. die Deutsche Bank) im Normalbetrieb, wenn es ihr gut geht? Sie kann und betreibt Wirtschaftspolitik, in der Regierung, mit der Regierung, außerhalb der Regierung: Wenn ein großer Kredit eines Automobilkonzernes refinanziert werden soll, dann stellt diese Bank Bedingungen: zum Beispiel (mehr) Entlassungen, Senkung der Lohnstückkosten usw. und diktiert damit direkt die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen.

Wenn der Deutsche Bank Chef Josef Ackermann nach Athen fliegt, um sich dort als Architekt der Verarmungsprogramme vorzustellen, dann macht er das im Auftrag der deutschen Bundesregierung bzw. der EU.

Wenn die seit Jahren geforderten und verkündeten ›Regulierungen‹ im Finanzsektor in allen wesentlichen Punkten scheitern, dann liegt das nicht nur am fehlenden Willen der Bundesregierung, sondern vor allem an der Macht der Banken, die letztendlich ihre Regulierung selbst bestimmen. Von daher kann man der lapidaren Feststellung des Filmemachers Hubert Seipel (Regisseur des Portraits ›Die Welt des Josef Ackermann‹) nur zustimmen, wenn er mit Blick auf die gegenwärtige Bundeskanzlerin feststellt: ›Sie dachte, sie sei an der Macht, dabei ist sie nur an der Regierung.

(…)

Der Finanzsektor – ein Verursacher der Krise?!

Die Kampagne gegen den Finanzsektor stellt bewusst die Groß-Banken in den Mittelpunkt der Aktionen. Bekanntlich ist im antisemitischen Weltbild das ›raffende‹, also das Finanzkapital Quelle allen Übels, mit dem klar formulierten Ziel, den Kapitalismus gegen seine angeblichen ›Auswüchse‹ zu retten.

Welche Bedeutung hat der Finanzsektor tatsächlich? Was hat das Wissen und die Analyse von der systemischen Bedeutung des Finanzsektors mit seiner antisemitischen Ausdeutung zu tun? Vermeidet man die antisemitische Ausdeutung, wenn man sich der Bedeutung des Finanzsektors nicht stellt, sie nicht wahrnimmt?

Man darf davon ausgehen, dass die Commerzbank eher an einer Untertreibung, als an einer Übertreibung der Krisenfaktoren und -kosten interessiert ist. Wenn man dies mitberücksichtigt, ist das Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2009 mehr als überraschend: »Die Finanzkrise wird die Weltwirtschaft laut einer Studie bis Ende dieses Jahres rund 10,5 Billionen Dollar (7,3 Billionen Euro) kosten. Das ergab eine Berechnung von Commerzbank Research, wie die Tageszeitung ›Die Welt‹ berichtet. ›Wir haben uns in der Finanzkrise zwar an hohe Summen gewöhnt, aber dieser Betrag ist einfach unglaublich‹, sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Bank, dem Blatt. Je Erdenbewohner belaufen sich die Kosten damit auf etwas mehr als 1500 Dollar.

Rund 1,6 Billionen Dollar Verlust entstanden demnach bei Banken durch Abschreibungen und Pleiten. Die Commerzbank-Forscher stützen sich hier auf Zahlen des Nachrichtenanbieters Bloomberg. Die Wertverluste an Wohnimmobilien in den USA und England, die besonders von der Immobilienkrise heimgesucht wurden, lagen laut Notenbanken und einer Schätzung der Commerzbank insgesamt bei 4,65 Billionen. Der aus der Finanzkrise folgende Einbruch der Weltwirtschaft kostete in den beiden vergangenen Jahren zudem rund 4,2 Billionen Dollar.

Die Commerzbank-Volkswirte unterstellten dabei, dass die Weltwirtschaft ohne die Krise so stark gewachsen wäre wie im Durchschnitt der vorherigen Jahre. Tatsächlich war das Wachstum 2008 aber deutlich niedriger: 2009 dürfte die Weltwirtschaft erstmals seit 60 Jahren wieder schrumpfen. So errechnet sich der Gesamtverlust.

Die Commerzbank hat auch die Zahlen für Deutschland errechnet: Demnach gehen der hiesigen Volkswirtschaft 237 Mrd. Dollar verloren: Auf 104 Mrd. belaufen sich die Abschreibungen deutscher Banken. Das niedrigere Wirtschaftswachstum 2008 und 2009 wird 133 Mrd. Dollar an Bruttoinlandsprodukt (BIP 2008: rund 3600 Mrd. Dollar) kosten, wie die Commerzbank prognostiziert. ›Die Einkommensverluste, die wir am BIP messen, sind viel stärker als in normalen Krisen‹, sagt Krämer. Die Kosten der Finanzkrise dürften in Zukunft noch steigen: Denn in der Rechnung nicht enthalten ist etwa das gedämpfte Weltwirtschaftswachstum für die kommenden Jahre, das Experten infolge der Krise erwarten. Außerdem werden viele Geldhäuser noch weitere Wertberichtigungen vornehmen müssen. Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass die Banken bis Ende 2010 schlimmstenfalls insgesamt bis zu vier Billionen Dollar abschreiben müssen.« http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie vom 29.8.2009

Wenn man also festhält, dass Banken mit einem Geschäftsvolumen von nationalen Regierungen ein entscheidende Bedeutung für die gegenwärtige Wirtschaftskrise (und ihre Sozialisierung) haben, dann bedient man damit keine antisemitischen Weltbilder, sondern stellt sich zu aller erst der Wirklichkeit kapitalistischer Verhältnisse.

(…)

Das Verhältnis von Finanzkapital zu anderen Quellen kapitalistischer Akkumulation

Zu aller erst ist die Unterscheidung von Finanzkapital und Industriekapital eine notwendige analytische Größe, um Entwicklungen und Verschiebungen innerhalb kapitalistischer Sektoren genauer zu erfassen und einzuordnen. Diese Unterscheidung hat nichts mit einem vermeintlich ›bösen‹ Finanzkapital und einem ›guten‹ und angeblich ›produktiven‹ Kapital zu tun, sondern mit den unterschiedlichen Bedingungen, die diese Kapitalien vorfinden und nutzen.

Wenn ein Autokonzern im Durchschnitt 5 bis 10 Prozent Rendite erwirtschaftet, während Investitionen im Finanzsektors Renditen von 20 – 100 Prozent bringen, dann folgen die Kapitalströme keinem skrupellosen Instinkt, sondern wirtschaftlicher Renditelogik. Diese Verschiebung von Kapitalströmen ist nicht das Ergebnis von besondern gierigen Investoren, sondern gewolltes Ergebnis politischer Vorgaben, die über die zahlreichen so genannten Finanzmarktreformen ein klar benanntes Ziel hatte: Kapital durch ›attraktive‹ Bedingungen in die jeweiligen nationalen Standorte, in die jeweiligen Finanzmetropolen (City London, Wall Street, Frankfurt) lenken, um mit dem dort gebundenen Kapital Weltmarkt- und Weltmachtpolitik zu betreiben.

Tatsächlich trifft man diese analytische Trennung in der Unternehmenspolitik großer Konzerne kaum noch vor: Der Autokonzern Porsche z.B. hatte durch Beteiligungen an ›riskanten‹ Finanzmarktprodukten 2008 mehr Gewinne erzielt, als durch den Verkauf von Autos.

Um’s Ganze – der Teufel steckt im Detail

Auf den Zahn gefühlt…

»…ich fragte ihn so mit den Zähnen auseinander, was mit dem Zahn ist. ›Karies‹, sagt er, ›Die Ursache ist Karies‹. Nun wollte ich natürlich wissen, was die Ursache von Karies ist, und er meinte, in meinem Fall wären wohl Ernährungsmangel die Ursache. Ich sage: ›Und die Ursache von den Ernährungsmangeln, wo sehen Sie die?‹. Nun wurde er ganz väterlich: ›Das werden Sie doch wissen, dass das Kriegsfolgen sind!‹. Jetzt stelle ich ihm natürlich die entscheidende Frage und sage: ›Aber was ist nun die Ursache vom Krieg?‹. Da stand er da und sagte wieder, das wäre eine ziemliche Problematik. Ich denke mir, jetzt musst du ihm ein bisschen unter die Arme greifen, jetzt steht er an einer Bewusstseinsschranke und kommt nicht rüber, also sage ich: ›Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen lässt sich feststellen, dass der Krieg, den Sie da im Auge haben, seine Ursachen im Imperialismus, der das höchste Stadium des Kapitalismus ist, also dass er da seine Ursache hat‹. (…) ›Wenn ich Sie recht verstehe, ist der Kapitalismus an Ihren Zahnschmerzen schuld?‹ – ›Ja, sage ich …‹ Hermann Kant, Die Aula, S.37

Es gibt noch einen weiteren Kritikpunkt an dem Aufruf zur Bankenblockade. Der Vorwurf lautet, man lenke mit dieser Aktion von den eigentlichen Ursachen ab und betreibe damit Mainstream-Politik, verschleiere damit »die tatsächlichen, systemimmanenten Ursachen«[1].

Fazit dieser Kritik: Wer nur an den Erscheinungen des Kapitalismus herumdoktere, laufe »Gefahr, das große Ganze aus der Schusslinie zu nehmen, indem sie sich nicht vom Konkreten lösen können, und so die Problemursachen aus den Augen verlieren.«

Was sind also die ›eigentlichen‹ Ursachen im Auge dieses Kritikers: »Wie jede andere kapitalistische Krise resultiert auch diese aus der Überproduktion des Kapitals.«

Man mag ihm in dieser Abstraktheit zustimmen, man darf ihm auch sicherlich zustimmen, dass irgendwie der gesamte Kapitalismus daran schuld ist. Nichts ist damit beantwortet: Niemand bestreitet hoffentlich, dass in diesem konkreten Krisen-Fall keine Autokonzerne, keine Rüstungsfirmen, keine Metallunternehmen zusammengebrochen sind, sondern Banken und Versicherungen! Wen dieser Unterschied nicht interessiert, wer diesen Unterschied nicht erklären kann, landet konsequenterweise beim System als mystische Größe und ist gefährlich nahe bei dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, der vom »anonymen Systemfehler«[2] fabuliert.

Und wer die ›eigentlichen‹ Ursachen angreifen will, ohne sich und anderen zu beantworten, wo man diese zu packen bekommt, hat irgendwie und folgenlos Recht, seitdem es den Kapitalismus gibt.

Kann irgendjemand sagen, wann in den letzten 40 Jahren das ›Eigentliche‹ angegriffen wurde? Kann uns irgendjemand sagen, wo sich das ›Eigentliche‹ befindet, außer im Kopf, in der Theorie?

Eine radikale Kritik besteht eben nicht nur in ihrer notwendigen Abstraktion, sondern ihrer Selbstverpflichtung, diese wiederum über ihre Konkretion, über eine bessere Praxis glaubwürdig zu machen.

Kann der/die KritikerInnen sagen, wo sie in den letzten 10, 20 Jahren das ›Eigentliche‹ angegriffen, das falsche Konkrete vermieden haben?

Wenn antifaschistische Gruppen neonazistische Aufmärsche verhindert, dann geht es ganz konkret um die Gefahr der Neonazis und nicht ums Ganze.

Wenn man sich einem Polizeiüberfall entgegenstellt, dann schützt man sich – im besten Fall – vor staatlicher Repression und ist weit davon entfernt, das Ganze zu treffen.

Würden wir in unserer Kritik von den jeweils eigenen Praxen ausgehen, würden wir uns eher den Problemen der notwendigen Beschränkungen und Reduzierungen stellen, als uns gegenseitig beweisen zu müssen, dass der Sandkasten der anderen viel kleiner ist.

(…)

Wolf  Wetzel                                    28.8.2010

Der komplette Text findet sich hier: Krise des Kapitalismus und krisenhafte Proteste – Edition Assamblage, 2012


[1]http://vega.blogsport.de/2010/07/05/wetzel-und-buechner-gut-gemeint-aber-nicht-gut-gemacht/

[2] FAZ vom 27. Oktober 2008

Wer sich mit viel Geduld in die völkische und antisemitische Ideologie begeben will, dem sei folgender Text ans Herz gelegt:

Die völkische Ideologie – Das Verlangen nach Herrschaft und der Wunsch nach Unterwerfung


[1]Die Bundeshaushalt 2009 betrug ca. 290 Milliarden Euro.

[2] Welt-Online 15.5.2010

5 Antworten to “28.8.2010 – Über die Mächtigkeiten von Banken…(aktualisiert)”

  1. Marina Sellisch Says:

    Der Artikel ist sehr interessant und hat gerade ein wenig mein Weltbild gerade gerückt. Obwohl es sehr viel Text ist, musste ich bis zum Ende lesen. Der Autor versteht sein Fach und ich bin wirklich beeindruck, wie Vielschichtig das Thema Finanzsektor und Banken ist.

  2. trueten.de - Willkommen in unserem Blog! Says:

    Über die Mächtigkeit von Banken … in der Wirklichkeit und im Antisemitismus…

    Wenn zur Blockade von Banken aufgerufen wird, hat man es nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern mit einem Sack voller Bedenken, Zweifel und Vorbehalte. Die guten Gründen sind einfach zu benennen: Nirgendwo anders liegen Überschneidungen zwischen ant…

  3. ricalb Says:

    lieber WW,

    wohl habe ich etwas Zeit, aber heuer keine Konzentration für eine weiterführende Kommentierung bes. Ihrer Hinweise zur PERSONALISIERUNGsfrage, Sie wissen schon: Was Marx in seiner Warenform-Kritik als „Charaktermaske“, Th. Mann als „Maske“ und neustens Priol als „Nasen“;-) bezeichnet.

    Vielleicht können Sie mit diesem Gedankensplitter etwas anfangen:

    Je undurchschaubarer und unfaßlicher Verhältnisse „da oben“ im Segment der spätkapital. Schwindelökonmie – desto größer das Bedürfnis „da unten“ nach Faßlichkeit und Personalisierung.

    (Es war 1983 bei der Hbg. Volksuni, daß ich am Bsp. BILD-Wirkung seminarisch etwas dazu vorbereitete, was meint: Den allgemeinen Aspekt des Personalisierungssyndroms gibt´s auch nicht erst seit vor/gestern…)

    Besten Eilgruß Richard A l b r e c h t

    Klicke, um auf cv1.pdf zuzugreifen

  4. Terminkalender der Herbstaktionstage « Berlin On Sale Says:

    […] Frankfurt/Main: Börsenblockade, aus gegebenem Anlass ein lesenswerter Artikel zu vermeintlich verkürzter Kapitalismuskritik und dem Antisemitismus derer, die sich nicht richtig […]

  5. Bankenkritik = verkürzte Kritik? : www.who-owns-the-world.org Says:

    […] “Über die Mächtigkeiten von Banken im Kapitalismus und im antisemitischen Weltbild&#… liefert Wolf Wetzel einen interessanten Beitrag zur Analyse und Kritik der sog. Bankenkrise unter […]


Hinterlasse einen Kommentar