Von ›Wir sind ein Volk‹ zum Pogrom, von der Abschaffung des Asylrechts zum ›nützlichen‹ Ausländer – Ein Rückblick auf 20 Jahre Deutschland

Die Situation vor der Wiedervereinigung 1989

Die herrschende Grundhaltung nach der militärischen Niederlage des deutschen Faschismus 1945 bis in die späten 60er Jahre hinein war von Wiederaufbau und Verdrängung, Wirtschaftswunder und personalen faschistischen Kontinuitäten geprägt. Über 80 Prozent der NS-Eliten wurden anstandslos übernommen, fanden eine Anstellung im Nachkriegsdeutschland und setzten dort auch ihre politischen Karrieren fort. So vereinigte sich z.B. unter dem Dach der FDP die größte Anzahl von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern – eine politische Ruhezone für NS-Verbrecher, unter der Flagge der Liberalität. Ralph Giordano bezeichnete diese Zeit treffend als »zweite Schuld« Deutschlands.
Als das Wirtschaftswunder ins Stocken kam, die Studentenrevolte und die außerparlamentarischen Bewegungen die Komplizität zwischen faschistischen Eliten und deutscher Nachkriegsgesellschaft beim Namen nannten, verbrannte der Teppich des Schweigens und Verleugnens. Was bedeutet: Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg! In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Ein Kernsatz Horkheimers stand im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen der 60er und 70er Jahre: »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.« .
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Die Große Koalition aus ›berechtigtem Protest‹ und Pogrom (1992)

Die Große Koalition aus ›berechtigtem Protest‹ und Pogrom

 

 

 

Mannheim-Schönau zählt zu den klassischen Arbeitervororten

beschaulich, grau

mit ein wenig Grün drum herum und viel geselligem Vereinsleben.

Früher war dort die KPD stark

bis sie 1956 verboten wurde

Mannheim-Schönau zählte zu den traditionellen SPD-Hochburgen.

Heute ist Mannheim-Schönau eine neofaschistische Hochburg.

Mit zuletzt knapp siebzehn Prozent der Stimmen erzielte die REP ihr bestes Wahlergebnis von ganz Mannheim.

 

 

Mannheim-Schönau wird heute sozialplanerisch als ›sozialer Brennpunkt‹ geführt:

Hohe Arbeitslosigkeit

viele SozialhilfeempfängerInnen

Drogenprobleme

Kriminalität.

Statistisch gesehen, von allem zuviel.

 

 

Mannheim-Schönau hat auch eine leerstehende ehemalige Gendarmeriekaserne.

Eigentlich hat die Stadt versprochen, dort ein Jugendprojekt einzurichten

eine Autowerkstatt oder etwas Ähnliches

was die Jugendlichen auf andere Gedanken bringen soll.

Doch daraus wurde nichts.

Im Februar 1992 wurde dort ein Sammellager für Flüchtlinge eröffnet.

 

 

Mannheim-Schönau hat auch ein Freizeitheim, ein Jugendzentrum

und Sozialarbeiter, die einfach wissen, dass Flüchtlinge Rauschgiftdealer sind.

Das wissen sie aus Funk und Fernsehen

haben es also mit eigenen Augen gesehen.

Als die Bitte an sie herangetragen wurde, die Flüchtlinge die Sporthalle mitbenutzen zu lassen, lehnten sie ab.

Ihr Widerspruch hatte Erfolg:

»Inzwischen ist es den Betreuern des Jugendfreizeitheimes gelungen,

diese Besuche der Asylbewerber abzustellen.«[1]

 

 

Mannheim-Schönau hat BürgerInnen, denen es schlecht geht

und die wissen, wem es auf jeden Fall schlechter gehen müsste.

»Wenn ich morgens arbeiten geh’

liegen die Asylanten schon faul in der Sonne.«

Eine verkehrte Welt.

»Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun,

schreiben Sie das,

die sollen sich nur anständig benehmen

uns reicht’s jetzt nämlich.«[2]

 

 

Mannheim-Schönau hat einen SPD-Oberbürgermeister

der nicht wie manch seiner Parteigenossen zappelt

sondern Haltung annimmt

wenn es um Schicksalsfragen der deutschen Nation geht.

Regelmäßig ist er Ehrengast auf dem CDU-Parteitag

ganz vorn in der ersten Reihe.

Unter dem Jubel christlicher Parteigänger verkündete er

dass man »vor einer Grundgesetzänderung nicht zurückschrecken« dürfe.

In Bonn gäbe es zwar ständig Gesprächsrunden

»aber in Wirklichkeit geschieht nichts.«[3]

Genauer musste er nicht werden.

Alle wußten, welcher Grundgesetzartikel damit gemeint war

Der Asylrechtsartikel 16,2.

 

 

Mannheim-Schönau hat eine Heimat-Presse

die es versteht, mitzuzündeln

und sich gleichzeitig um die Brandspuren sorgt:

 

 

»Auf ein Wort .(…)

Schaut her, die bösen Schönauer? Dummes Zeug!

In ganz Deutschland

werden die Proteste gegen die massenhafte Einwanderung von Asylbewerbern

darunter ein Großteil Wirtschaftsflüchtlinge

die den wirklich Hilfsbedürftigen schaden

zunehmen.

Leider wird es auch vermehrt gewalttätige Aktionen geben.

Das schadet unserem Ansehen im Ausland.

Und wieder einmal sei es geschrieben: die Politiker sind gefordert.

Nicht morgen oder übermorgen

sondern heute.«[4]

 

 

Mannheim-Schönau erfüllt alle Voraussetzungen für einen »berechtigten Protest«.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am 27.5.1992 war es dann endlich so weit

Ein Funke genügte

 

das Gerücht

eine 16jährige Deutsche

sei von einem Schwarzen

vergewaltigt worden

 

 

 

und 150 Bürger zogen vors Flüchtlingsheim und verbreiteten Lynchjustiz-Stimmung.

Die Polizei verhinderte die Erstürmung.

 

 

 

 

 

1992


[1] Mannheimer Morgen/MM am 9.4.1992

[2] Anzeiger 3.6.1992

[3] MM vom 27.1.1992

[4] Joachim Faulhaber, Anzeiger 3.6.1992