Der 10.800 Euro Plan. In Gedenken an Oury Jalloh.

Wenn das Offensichtliche wie ein „Gefährder“ behandelt wird

Statt in Zweifeln und hilflosen Anklagen zu verharren, darauf zu warten, dass doch noch das passiert, was seit zwölf Jahren unterlassen wird, hat nun die gemeinnützige PixelHELPER Foundation den nächsten Schritt gemacht, um auf juristische und politische Untätigkeit mit gesellschaftlichem Engagement zu antworten. Sie hat genau die Summe zur Aufklärung des Falls Jalloh bereitgestellt, die der frühere Dienstgruppenleiter Andreas S. als Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung bezahlen musste: 10.800 Euro.

„Die gemeinnützige PixelHELPER Foundation kämpft mit ungewöhnlichen Mitteln gegen gesellschaftliche Missstände. Oft werden mit Lichtprojektoren von fahrenden Autos aus Lichtkunstkarikaturen auf internationale Botschaften projiziert. Diese Form des politischen Protestes wurde schon gegen die Überwachungsprojekte der NSA, Waffenlieferungen an Saudi-Arabien oder für Tierrechte eingesetzt. Oft setzen die teilnehmenden Künstler modernste Technik & alle Werkzeuge der Satire ein um Probleme in den Fokus der medialen Berichterstattung zu stellen. Der Fokus unserer Arbeit liegt auf Menschenrechten, insbesondere die Freilassung von politischen Gefangenen & Staaten, die gegen die Genfer Menschenrechtskonvention verstoßen.“ (1)

 

Warum sie im „Fall Jalloh“ zur Tat schreitet, beschreibt sie wie folgt:

„Oury war ein Flüchtling aus Sierra Leone, er wurde 37 Jahre alt. Er starb am 7. Januar 2005 in der Arrestzelle Nummer fünf im Keller der Polizeiwache Dessau. Der frühere Dienstgruppenleiter Andreas S. musste nur eine Geldstrafe von 10.800 Euro wegen fahrlässiger Tötung zahlen, dieser Beitrag wurde sogar von der Gewerkschaft der Polizei übernommen, er soll die Gegensprechanlage leise gedreht haben, weil er sich beim Telefonieren belästigt fühlte. Ein Skandal für den deutschen Rechtsstaat und vielleicht nur die Spitze des Eisberges von vielen ungeklärten Morden in Dessau und Umgebung.“

Rote-Flora-Transparent-2017

Den „Fall Jalloh“ haben wir ausführlich dokumentiert, vor allem den zähen und ermutigenden Einsatz der Initiative „Break the silence. Das war Mord.“

Eine Laudatio auf die Initiative „Break the silence. Das war Mord.“ In Gedenken an Oury Jalloh: https://www.rubikon.news/artikel/das-war-mord

Und noch ergänzend ein nicht ganz so kleines Detail zur fortgesetzten Vertuschung und Sabotage einer Aufklärung:

Mitte November 2017 hatte sich der Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad im Rechtsausschuss erklärt. Dort begründete er die Einstellung der Ermittlungen damit, dass die „Gutachter (…) die These von der Selbstverbrennung des Mannes weder belegen noch ausschließen können“.

Verschwiegen hatte der Generalstaatsanwalt den ParlamentarierInnen jedoch, dass der Leitende Oberstaatsanwalt von Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, im April desselben Jahres zu dem Schluss gekommen ist, dass Mord die wahrscheinlichste Todesursache ist.

„Dieser Widerspruch in den Aussagen lässt sich anders als durch Täuschung nicht erklären“, sagt die Linken-Abgeordnete Henriette Quade nun. (2)

Mely Kiyak, die einige der besten Kolumnen zum NSU-VS-Komplex geschrieben hat, hat auch etwas Markantes zum Fall Jalloh geschrieben:

„Es ist alles wie gehabt. Wie beim NSU. Die Prämisse, dass ein vermeintlich oder tatsächlich ausländisches Opfer zunächst immer ein Täter ist, ist ein in Deutschland alltäglicher Ermittlungsansatz. (…)

Deshalb dauern diese Art Ermittlungen oft Jahre und Jahrzehnte an. Weil man Umwege gehen muss. Weil man das Offensichtliche gegen den Widerstand derjenigen beweisen muss, deren eigentliche Aufgabe es wäre, Verbrechen zu ahnden und nicht zu begehen.“ (3)

 

Bitte unterstützt diese Initiative durch Spenden. Denn es bedarf neben Mut und Zeit eben auch eines Batzen Geldes, um die vielen Hakenkrallen zu lösen, die an den Fall Jalloh angebracht wurden.

Wolf Wetzel

Mehr Informationen auf www.PixelHELPER.org/de/ouryjalloh

Quellen:

 

Eine Laudatio auf die Initiative „Break the silence. Das war Mord.“

In Gedenken an Oury Jalloh

Sie war und ist nicht totzukriegen, die Initiative „Break the silence“, die weder der Polizei, noch der ermittelnden Staatsanwaltschaft glaubte, dass sich ein gefesselter Mann 2005 in einer Dessauer Zelle selbst angezündet hat, um dort qualvoll zu sterben.

Es ist eine Laudatio auf eine Initiative, die nicht gerade auf Händen getragen wurde, auch nicht innerhalb linker, antirassistischer Gruppen und Strömungen. Der „Fall Jalloh“ ist dabei nicht besonders.

Es passiert etwas Schreckliches: In Polizeigewahrsam stirbt ein Mann. Ein Mann, an dem das Auffälligste ist, dass er schwarz ist.

Er war, auf einer feuerfest umhüllten Matratze liegend, an Händen und Füßen angekettet.

Er wird tot in der Zelle gefunden. Die Polizei geht von Selbstverbrennung aus, die Angehörigen und Freunde von Mord.

Wenn es mit rechten Dingen zuging, würde nun die Polizei in alle Richtungen ermitteln: Was spricht für Selbstmord, welche Indizien und Umstände sprechen für Mord?

Die Staatanwaltschaft legte diese Selbstentzündungshypothese von vornherein den Ermittlungsaufträgen zugrunde, das heißt: Diese Staatsanwaltschaft hat den „Selbstmord“ nicht ermittelt, sondern aktiv verteidigt und entgegen der Fakten- und Indizienlage zementiert. (https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/in-der-polizeizelle-verbrannt-100.html)

 

Rote-Flora-Transparent-2017

MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann fällt dazu einen alten, makabren „Witz“ ein:

Zwei Polizisten ziehen einen toten Juden aus dem Fluss: Ein Messer steckt im Rücken, insgesamt 48 Messerstiche zählen die beiden, er ist noch immer mit schweren Eisenketten gefesselt und umwickelt. Und der Eine wendet sich an den Anderen: ‚Mein Gott, einen so brutalen Selbstmord habe ich ja noch nie gesehen!‘“ (Institutioneller Rassismus, MiGAZIN vom 21. November 2017)

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Der Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau 2005 … und eine Brieftaube

23.6.2016

Wie groß muss die Zahl der „Ungereimtheiten“ (im Zuge der Todesermittlungen) sein, damit ein Reim daraus wird?

 Rechtsanwältin Beate Böhler will Bewegung in den Fall Oury Jalloh bringen. Der Flüchtling aus Sierra Leone verbrannte im Januar 2005 im Polizeirevier Dessau (Sachsen-Anhalt). Er war, auf einer feuerfest umhüllten Matratze liegend, an Händen und Füßen angekettet. Böhlers Vorwurf an die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau: Sie ignoriere Beweise dafür, dass ein Dritter das Feuer gelegt haben muss. »Der Kreis der Tatverdächtigen ist überschaubar, gegen sie muss endlich ermittelt werden«, sagte die Rechtsanwältin im Gespräch mit jW. (..)

 Break_the_silence

Dass die Aufklärung eine teure Variante der Verschleierung ist, zeigt nicht nur der NSU-VS-Komplex. Man kann dies auch sehr genau am Fall Oury Jalloh nachzeichnen.

 Nun ist, nennen wir sie Susi, eine Brieftaube zugeflogen, die folgende Nachricht zurückgelassen hat, worüber sich Susi sehr freute – und deren Freude man unbedingt teilen sollte:

 „Ob es eine große, böse Brieftaube war, die sie entwendet und eines Morgens auf mein Fensterbrett gelegt hat? Wer weiß, wer weiß … Und wer weiß schon, wo sie überall herumliegen …

Aus diesen Akten geht nun blöderweise hervor, dass die »ermittelnde« Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau unter Oberstaatsanwalt Folker Bittmann erwiesene Falschaussagen von Polizeizeugen nicht weiter verfolgt hat, zwei Anzeigen nicht mal ansatzweise nachgegangen ist und nie geprüft hat, wohin diverse Beweismittel auf mysteriöse Weise aus dem Polizeirevier und dem LKA Sachsen-Anhalt verschwanden. Es geht dummerweise auch daraus hervor, dass Sachverständige an dem angeblichen Selbstmordfeuerzeug nicht eine einzige Spur aus der Zelle gefunden haben, mehr noch: Dass sogar von der Staatsanwaltschaft höchstpersönlich beauftragte Gutachter es ausschließen, dass sich Jalloh selbst im gefesselten Zustand angezündet haben kann.

Und was Susi noch ganz nebenbei (wusste gar nicht, dass ich so gut ausfragen kann) von einem hochrangigen Polizisten höchstpersönlich erfahren hat: Die Polizei in Dessau hat damals kurz nach dem Brand nicht nur Journale, Dienstpläne und eine Handfessel entsorgt. Sie hat auch alle Matratzen der Art wie der, auf der Jalloh in der gefliesten Zelle verbrannte, rigoros vernichtet. Mehr noch: Auch die Verwaltung der Polizei hat sämtliche Kaufbelege dieser Teile in Luft aufgelöst. Unauffindbar, wie vom Erdboden (oder Feuer?) verschluckt. Darum konnte nämlich nie der Hersteller ermittelt werden, um ein solches Modell für Versuche anzufordern.“

Ich finde, diese Nachricht hat eine Antwort verdient, z.B. von der ermittelnden Staatsanwaltschaft.

Wolf Wetzel

Verbrannt

Verbrannt

Am 11.10.2015 sendete das ARD einen mit der deutschen Nationalhyme unterlegte Tatort-Krimi mit dem Titel ›Verbrannt‹.

Tatort-Verbrannt-Banner-2015

Als Sendetermin hatte man sich etwas ausgedacht: »Möhring ist unzufrieden mit dem Sendeplatz, da zeitgleich das Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Georgien zu sehen ist. ›Ich wollte verhindern, dass unser Tatort parallel ausgestrahlt wird‹, gibt der Schauspieler zu. ›Aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht nachvollziehen kann, hat es nicht geklappt‹.
Dennoch ist dieser ›Tatort‹ aus drei Gründen bemerkens- und sehenswert:
»Der ›Tatort: Verbrannt‹ bezieht sich auf den realen Fall von Oury Jalloh aus Sierra Leone, der 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam verbrannt ist.« (Filmankündigung)

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