Der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich, Nuit debout und ein neues 68

Am Sonntag, den 23. April 2017 ist der erste Wahlgang des Präsidentenwahlkampfes in Frankreich. Die Stichwahl, zu der es aller Wahrscheinlichkeit nach kommen wird, ist auf den 7. Mai 2017 datiert. Fünf Kandidaten werden Chancen für die Stichwahl eingeräumt.

Die Einschätzungen und Prognosen schwanken zwischen „ganz schlimm“ und „gewohnt schlimm“.

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Wir wollen den Blick ein wenig weiten, und auf das zurückblicken, was sich jenseits dieses Wahlsettings ereignet hat und darüber hinausweisen könnte … zum Beispiel der Vorschlag von Didier Eribon:

„Die Formen der Herrschaft sind vielfältig, und deshalb müssen es die Formen des Widerstandes auch sein. Die Politik besteht immer aus Ungleichzeitigkeiten und heterogenen Entwicklungen. Wer die Zeitlichkeit der Politik vereinheitlichen will, schränkt das Feld der Mobilisationen ein und zensiert die dort sich äußernden Stimmen. Man muss nur an den Mai 1968 in Frankreich zurückdenken: zehn Millionen streikende Arbeiter, eine starke feministische Bewegung, der Kampf der Einwanderer, die Kritik am Justiz- und Gefängnissystem und so weiter. All diese Dinge zusammen sind die Linke. Die Präsidentschaftswahl führt uns vor Augen, in welcher Krise sich das linke Denken befindet. Nur wenn wir uns den Geist von ’68 wieder zu eigen machen, können wir es erneuern.“

 Und nun los: https://www.rubikon.news/artikel/der-prasidentschaftswahlkampf-in-frankreich-nuit-debout-und-ein-neues-68

Wolf Wetzel

Aufstand in den Städten. Krise, Proteste, Strategien, Unrast Verlag 2012

Ein längerer Beitrag zu diesem Thema findet sich hier: Ausnahmezustand in Frankreich: https://wolfwetzel.wordpress.com/2016/07/18/frankreich-im-ausnahmezustand/

Frankreich im Ausnahmezustand

Der französische Präsident François Hollande erklärte am 14.6.2016:

Ich möchte den Franzosen also sehr klar sagen, dass der Ausnahmezustand nicht ewig verlängert werden kann (…) Das hätte gar keinen Sinn, das würde bedeuten, dass wir keine Republik mehr wären mit einem Recht, das unter allen Umständen angewandt wird.“ (tagesanzeiger.ch vom 14.7.2016)

Nur ein Tag später – als Antwort auf einen verheerenden Anschlag in Nizza – verlängerte er den Ausnahmezustand.

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Wolf Wetzel hat für die NachDenkSeiten ein Blick auf die Entwicklungen des letzten Monats geworfen, in dem sich Frankreich dauerhaft im Ausnahmezustand befand:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=34249

Demonstration gegen ‚Gegen das Arbeitsgesetz und seine Welt’ in Frankreich

Die Wirklichkeit als lästiger medialer Bestandteil – 14. Juni 2016: Contre la loi Travail et son monde.

Als wollten die deutschen Medien keinen Zweifel an dem Konzept aufkommen lassen, dass nur das Wirklichkeit ist, was die Medien als solche präsentieren, pixelten sie sich für den 14. Juni, den Tag der Proteste ‚Gegen das Arbeitsgesetz und seine Welt’ folgende Wirklichkeit zurecht: Vorneweg die ersten „Ermittlungsergebnisse“ zum Mordanschlag auf zwei Polizisten nahe Paris am Tag zuvor. Ganz lang, ganz ausführlich und ganz zufrieden – dass die Lücke zwischen (abstrakter/konkreter) Terrorgefahr und die alles rechtfertigende „Terrorabwehr“ durch eine Tat gefüllt wurde. Dann ca. fünf Sekunden Bilder von den Protesten von „ein paar Zehntausend Menschen“ und 15 Sekunden Bilder von „Ausschreitungen“.

Neoliberalisme-mange

Wie viele es tatsächlich waren, warum diese schon sehr seit Wochen demonstrieren und dies immer noch tun, warum die Wut nicht friedlich bleibt, unter den Bedingungen eines Ausnahmezustandes und massiver Polizeieinsätze … nichts von alledem. Medial besteht Frankreich zurzeit nur aus ganz viel Terrorgefahr und ganz viel Fußball, der geradezu blind zwischen diesen Feldern zirkuliert.

Was den Medien ein paar Sekunden Berichterstattung, ein paar Sätze wert war, hatte nach Gewerkschaftsangaben eine Million Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Paris (und 1,3 Millionen frankreichweit mit zusätzlichen Demonstrationen in Marseille und anderswo) auf die Straße getrieben. Nach Polizeiangaben, denen die Medien mutig und unabhängig folgten, waren es „70.000 bis 80.000“ Teilnehmer in der Hauptstadt, und 125.000 landesweit.

 Ob sich die Bewegung entmutigen oder gar spalten läßt, ob die Regierung die Androhung ernst machen wird, Demonstrationen zu verbieten, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.

Wolf Wetzel

Der Rechtsstaat im Untergrund |Big Brother, der NSU-Komplex und notwendige Illoyalität, PapyRossa Verlag, Köln 2015

Die EM in Frankreich als Antidepressivum: https://wolfwetzel.wordpress.com/2016/06/12/die-em-als-antidepressivumfr-vom-9-6-2016/

Es gibt eine deutschsprachige Reportage des WDR über die Bewegung „nuit debout“, die verschiedene Positionen innerhalb der Bewegung einfängt: https://youtu.be/zsHn-xIf9po

Ein Bericht über die Demonstration am 14. Juni gibt es von Agence LDC News:

https://www.youtube.com/watch?v=qPMZrCANaT8#t=1508.892334

https://youtu.be/qPMZrCANaT8?t=14

 Man sieht, wie der Demonstrationszug immer wieder angehalten, z.T. eingekesselt und dann mit Tränengas beschossen wird. Man sieht auch sehr gut, dass die meisten Leute auf alles vorbereitet sind, nur nicht auf diese massive Polizeigewalt. Dass diese Ohnmachtssituation nicht von allen hingenommen wird ist mehr als verständlich. Die allermeisten haben dabei nicht einmal die Mittel, sich zu schützen, geschweige denn die Mittel, sich dieser Polizeigewalt zu widersetzen.

Die Fußball-EM in Frankreich -Die stille Nacht deutscher Qualitätsmedien und nuit debout

Sicherlich wissen fast alle, dass heute Abend die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich beginnt.

Das wissen Sie, weil Sie Fußball mögen oder gar nicht an der fast täglichen Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten herumkommen.

Wissen Sie auch, dass seit Ende März Zehntausende in Frankreich in über 200 Städten öffentliche Plätze besetzt hatten und besetzt halten, um gegen den anhaltenden Ausnahmezustand (état d’urgence) und die „Arbeitsmarktreform“ der französischen Regierung, die sich als sozialistisch ausgibt, zu demonstrieren?

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Wissen Sie, dass diese Bewegung mit massiven Protesten der Gewerkschaften einhergehen, mit Streiks und Blockaden der Lkw-Fahrer, der Angestellten beim staatlichen Bahnkonzern SNCF, mit einem Streik der Piloten der Fluggesellschaft Air France?

 Und haben Sie die deutschen Qualitätsmedien darüber informiert, dass kurz nach dem Eröffnungsspiel, am 14. Juni eine internationale Demonstration in Paris stattfinden wird, zu der Gewerkschaften und die Bewegung ‚nuit debout’ (wache Nacht) aufrufen, unter dem gemeinsamen Motto: Rücknahme des Ausnahmezustandes und der Arbeitsmarktreform?

Eine Demonstration, die sehr wahrscheinlich mindestens so viele Menschen auf die Straße bringen wird, wie nach dem Anschlag in Paris 2015.

Wolf Wetzel

Ein Beitrag auf „NachDenkSeiten“ vom 10.6.2016: http://www.nachdenkseiten.de/?p=33756

Großdemonstration in Paris am 14. Juni 2016

13.6.2016:

aktuelle Nachrichten und Verweise:

„Soeben erhalten wir als Gewerkschafter/Innen-Arbeitskreis (AK) das aktuellste Info-Potpourri des Kollegen Wolfgang Erbe (http://www.ak-gewerkschafter.de/?s=wolfgang´+erbe). Wolfgang informiert über die heutige Großdemonstration in Paris mit Streiks und Blockaden unter dem Titel: „Frankreich – Streiks und Blockaden heute in Paris und in den Regionen“. Das passt sehr gut in unsere lückenlose Berichterstattung über die Widerstandsaktionen der französischen Kolleginnen und Kollegen gegen den beabsichtigten Arbeitsrechts- und Sozialabbau der französischen Regierung, die Ihr durch den Klick auf den nachstehenden Link aufrufen könnt:

http://www.ak-gewerkschafter.de/category/europa/frankreich/ !

Ein weiteres wichtiges Informationsthema des Kollegen Wolfgang Erbe ist betitelt mit: „Telekom steckt dreistelligen Millionenbetrag in Narus-Massenüberwachungstechnologie!

Frankreich – Streiks und Blokaden heute:

Boulogne : des accès vers le centre-ville et Capécure à nouveau bloqués par les manifestants

Par la rédaction pour La Voix du Nord http://www.lavoixdunord.fr/ , Publié le 13/06/2016 – Mis à jour le 13/06/2016 à 10:57

Depuis dimanche soir 22 h, de nouveaux barrages routiers ont été installés aux abords de Boulogne-sur-Mer par l’intersyndicale en lutte contre la loi Travail.

Ce lundi matin, les poids lourds sont bloqués autour du rond-point des oies à Outreau et aux abords de Capécure. Les voitures passent par des barrages filtrants.

Des échauffourées entre manifestants et routiers

Des routiers auraient perdu patience ce lundi matin en se retrouvant à nouveau bloqués avant Capécure. Selon le groupe des Jeunes en lutte, un chauffeur aurait tenté de forcer un barrage de pneus et un autre les aurait menacés avec un club de golf.

L’ambiance était revenue au calme ce lundi matin vers 9h, alors que de nombreux camions étaient toujours bloqués.

La manifestation doit durer jusqu’à midi.

http://www.lavoixdunord.fr/region/boulogne-des-acces-vers-le-centre-ville-et-capecure-a-ia31b49030n3568355

La fronde contre la loi El Khomri continue mais la CGT calme le jeu

Loi Travail – Social

http://www.ladepeche.fr/article/2016/06/10/2362804-fronde-contre-loi-el-khomri-continue-cgt-calme-jeu.html

Publié le 13/06/2016

Grève des bus aujourd’hui et manif dans la rue demain

http://www.ladepeche.fr/article/2016/06/13/2364167-greve-bus-aujourd-hui-manif-rue-demain.html

http://france3-regions.francetvinfo.fr/midi-pyrenees/haute-garonne/toulouse/greves-manifs-blocages-nouveau-jeudi-noir-contre-la-loi-el-khomri-toulouse-et-dans-la-region-1006471.html

http://www.la-croix.com/Economie/Social/Loi-travail-un-si-long-conflit-2016-06-12-1200768088

http://pcfarras.over-blog.com/

http://www.cgt.fr/Votation-citoyenne-le-retrait-de.html

https://gauchedecombat.net/2016/06/10/leuro2016-va-te-faire-foot/

Weitere Informationen unter: http://www.ak-gewerkschafter.de

Über die geplante Großdemonstration am 14. Juni 2016 in Paris, das Für und Wider, aber auch über die Ereignisse drum herum, schreibt Bernhard Schmid aus Paris sehr detailliert und kenntnisreich:

„Vorausblick auf eine möglicherweise entscheidende Woche

Die laufende Woche bringt neue Demonstrationen, jedoch nur auf dezentraler Ebene und ohne ausdrücklichen Aufruf der sieben größeren Gewerkschafts- und Jugendverbände, welche seit nunmehr drei Monaten in der die Proteste tragenden intersyndicale (sinngemäß: dem gewerkschaftsübergreifenden Kartell) zusammengeschlossen sind.

Letztere – also die intersyndicale – ruft erst für den Dienstag, 14. Juni 2016 wieder ausdrücklich zu einem „Aktionstag“ auf. Dieses Mal mit neuen Modalitäten: Die Menschen sollen aus ganz Frankreich zu einer Zentraldemonstration nach Paris kommen. Dies hat es zuletzt in der letzten Maiwoche 2003 im Kampf gegen die mittlerweile vor-vor-vor-vorletzte „Rentenreform“ in Frankreich gegeben, damals mit einer Million Teilnehmenden.

Nun stellt sich allerdings die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Strategie, die derzeit in Kreisen von radikaleren Gewerkschafter/inne/n – denen wirklich an einer Ausweitung der Proteste und an einem politischen Sieg über Regierung und Kapitel zum „Arbeitsgesetz“ gelegen ist – kontrovers diskutiert wird. Etwa in dem Kreis von Postbediensteten, Eisenbahnern, Prekären, Nuit debout-Aktivist/inn/en (etwa von der „Kommission Generalstreik“ der Pariser Platzbesetzung) und einigen Anderen, welcher an den letzten beiden Sonntagen – 22. und 29. Mai – zu nichtöffentlichen Treffen in dem Theater La Belle étoile in Saint-Denis zusammenkam. („A la belle étoile“ bedeutet eigentlich „Unter freiem Himmel“. Dieses selbstverwaltete Theater gehört der linken Künstler/innen/gruppe Jolie Môme, „Süßes Kind“, die eine wichtige Rolle u.a. in der Bewegung der intermittens du spectacle oder diskontinuierlich Beschäftigten des Kulturindustrie spielt.)

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