An dieser ganzen Sache ist etwas faul – Tod von Sascha Winter

Ich hatte das Glück, Kontakt zu einer langjährigen Freundin von Sascha Winter zu bekommen. Die verschiedenen Gespräche, die wir geführt haben, habe ich in folgendem Beitrag zusammengefasst:

Sandra W. (der richtige Namen ist der Redaktion bekannt) ist eine sehr gute Freundin von Sascha Winter gewesen: „Sascha und ich haben uns bereits 2004 kennen gelernt, auf einem Gras- und Sandbahnrennen – damals war er noch Beifahrer bei einem Gespannfahrer.“
Als Sascha mit dem plötzlichen Tod seiner Verlobten, Melisa Marijanovic, konfrontiert war, war er niedergeschlagen, manchmal vielleicht auch mutlos. In dieser Phase hatten Claudia und Sascha sehr intensiven und sehr vertraulichen Kontakt. Denn Claudia konnte sich in seine Niedergeschlagenheit gut einfühlen und somit waren sie in dieser schwierigen und wackligen Zeit so etwas wie Seelenverwandte. Claudia kann sich sehr genau an diese von Trauer geprägte Zeit erinnern, auch daran, dass Sascha an der Todesursache gezweifelt hatte. Doch er behielt die Zweifel und was er damit gemacht hat, für sich. Doch so langsam fing sich Sascha wieder, was Claudia auch daran festmachte, dass er wieder ganz in seinem Lieblingssport aufging: Moto-Cross-Rennen. Das führte dazu, dass Claudia für ihn mögliche Moto-Cross-Strecken ausfindig gemacht hatte, da Sascha Lust auf neue Strecken hatte. Das war im Oktober letzten Jahres.
Noch an seinem Geburtstag, den 19. Januar diesen Jahres hatten sie Kontakt. Er wirkte alles andere als lebensmüde.

„Es ist für mich unvorstellbar, dass er sich selbst das Leben genommen haben soll.“

Das ist auch der Grund, dass Claudia diese Zweifel nicht für sich behalten will, auch wenn sie spürt, wie viele Angst haben, wie viele, die sie bisher kontaktiert hatte, auf ihre Fragen nicht antworten. Dazu gehört auch die Frage: Wer soll diesen „elektronischen Abschiedsbrief“ bekommen haben? Sie hat ihn jedenfalls nicht bekommen. Sie weiß aber eines recht sicher: „Warum hätte er dies per Mail tun sollen? Das sieht Sascha so gar nicht ähnlich.

Dass Melisa Marijanovic eine kurze Beziehung zu Florian Heilig hatte, erfuhr Claudia erst nach dem Tod von Melisa.

„Ob Sascha etwas zu dem ganzen Thema wusste oder nicht kann ich leider nicht sagen. Aber er wird bestimmt mit seiner Verlobten darüber gesprochen haben.“

Wolf Wetzel

 

Warum sterben – rund um den NSU – so viele (potenzielle) Zeugen in Baden-Württemberg?

aktualisiert am 26.2.2016

Dass in Baden-Württemberg ganz junge Menschen auf ganz merkwürdige Weise ums Leben kommen, kann reiner Zufall sein. Dass diese Menschen alle potentielle und tatsächliche Zeugen im NSU-VS-Komplex waren bzw. gewesen wären, ist alles, nur kein Zufall.
Nun gibt es ein viertes Opfer, Sascha Winter, 31 Jahre aus Kraichtal.
Seine Verlobte Melisa Marijanovic starb vor knapp einen Jahr, mit 20 Jahren. Laut Obduktionsbericht soll sich das so zugetragen haben: Melisa Marijanovic hatte einen kleinen Motorcross-Unfall, bei dem sie sich das Knie geprellt hatte. Sie ging zum Arzt, zwei Mal wurde eine Thrombosevorsorge gemacht. Am 28. März 2015 findet sie ihre Freund, Sascha Winter, mit Krämpfen in ihrer gemeinsamen Wohnung. Jede Hilfe kam zu spät.
Nun ist auch ihr Freund und Verlobter tot.

Sascha-Melisa-II-Facebook

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NSU-VS-Komplex: Kein sechster toter Zeuge!

Beitrag von Hans Christoph Stoodt | AntiNaziKoordination Frankfurt

Im NSU-VS-Komplex ist, wie seit gestern bekannt ist, nun schon der fünfte Zeuge tot: Sascha W. aus Kraichtal.

 

Melissa -M

Melisa (links) und Sascha (rechts)

Er war der Freund jener Melisa M., deren ehemaliger Freund Florian Heilig sich auf dem Weg zu einer Aussage befunden hatte, in der er die Mörder an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter benennen wollte – angeblich aus Liebeskummer soll er sich stattdessen in seinem Auto das Leben genommen haben. Weder Freundin noch Familie des Ex-Nazis glaubten das.

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Aliens – Um den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg ist ein gnadenloser Machtkampf entbrannt |Thomas Moser

Aliens. – Um den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg ist ein gnadenloser Machtkampf entbrannt |Thomas Moser

Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich: Erst sollte die Aufklärung des Polizistenmordes von Heilbronn, Mord Nummer zehn im NSU-Komplex, mittels der Ermittlungsgruppe Umfeld des Landeskriminalamtes (LKA) verhindert werden, dann mittels einer Enquête-Kommission im Landtag, nun durch einen Untersuchungsausschuss selber. Am 4. Mai 2015 nahm der Ausschuss den Tatort Theresienwiese in Heilbronn in Augenschein und ließ sich vom LKA-Vertreter Axel Mögelin Ermittlungsergebnisse schildern – und auf einmal scheinen alle Zweifel beseitigt. Der Mordanschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen Martin Arnold geschah doch so, wie es die Bundesanwaltschaft behauptet: Allein durch zwei Täter. Beispielhaft für das fast einhellige Presseecho die kleine taz-Schwester Kontext:

„Ein einziger Spaziergang von gut zwei Stunden hat den baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss einer Lösung seiner Aufgabe nähergebracht, die Umstände der Ermordung von Michèle Kiesewetter aufzuhellen. Die Begehung der Heilbronner Theresienwiese konnte die bisherige Zwei-Täter-Theorie der ermittelnden Behörden nicht erschüttern. Eher im Gegenteil.“

IM Gall (SPD) bei der Arbeit

IM Gall (SPD) bei der Arbeit

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Offener Brief an den PUA in Baden-Württemberg

Sehr geehrter Herr Letsche,
ich wollte Ihr Angebot, mich an Sie zu wenden, doch nutzen – mit der Bitte, mein Anliegen weiterzuleiten.
Wahrscheinlich hat Sie die Nachricht über den Tod der Zeugin Melisa Marijanovic am Wochenende auch erschrocken. Wie Sie wissen, recherchiere ich seit drei Jahren zu den NSU-Morden und habe so auch die Familie Heilig kennengelernt. Die Zweifel an der Selbstmordthese sind mir damals sehr nahe gegegangen und ich habe in der Folgezeit mit deren Hilfe versucht, mir ein eigenes Bild zu verschaffen. So bin ich u.a. auf den Fahrlehrer gestoßen. Ich halte in der Summe der mir vorliegenden Indizien Selbstmord für den unwahrscheinlichsten Geschehensablauf.
Ich möchte die (endgültige) Todesursache bei Melisa M. außen vor lassen. Ich weiß nur, dass die nächste Zeugin ›Bandini‹ ähnliche berechtigte Ängste hat wie sie Melisa M. geäußert hatte. Bei letzteren Zeugin kenne ich weitgehend ihre Geschichte (…) und die Bedeutung ihrer Aussagen, die sie machen kann (dem LKA und dem PUA liegt ein Protokoll dieser Erinnerungen vor).
Sie wissen oder sollten wissen, dass es letztes Jahr einen Anlauf gab, ›Bandini‹ in ein Zeugenschutzprogramm zu nehmen. Das wurde abgelehnt.
(…)

PUA-Stuttgart-2015

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Zehn NSU-Morde und drei tote Zeugen

Zehn NSU-Morde und drei tote Zeugen

(aktualisiert am 1.4.2015)

Am 28. März 2015 wurde »eine 20-jährige Zeugin im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) tot in ihrer Wohnung aufgefunden.« Laut Polizeiangaben wurde sie von ihrem Lebensgefährten mit Krampfanfällen in der Wohnung gefunden. Die herbeigerufenen Ärzte konnten ihr Leben nicht retten. Einem vorläufigen Obduktionsbericht zufolge sei sie an einer Lungenembolie gestorben.

Wie eine 20-Jährige an einer Lungenembolie sterben kann, erklärten die Ermittler auch. Sie habe sich vier Tage zuvor eine Prellung im Knie zugezogen, die auch ärztlich behandelt wurde, wozu auch eine Thrombosevorsorge zählte. Diese sollte jedoch nicht verhindern, dass sich ein Thrombus gelöst habe, der letztendlich die Lungenembolie verursacht habe.
Genau so sehen das Dr. Tobias Wagner/Staatsanwalt und Fritz Bachholz/Erster Polizeihauptkommissar in einer gemeinsamen Pressekonferenz vom 30.3.2015.

Es ist die dritte Zeugin, die aufgrund von gemachten Aussagen zum NSU-VS-Komplex, stirbt. Sie heißt Melisa Marijanovic.

jW-Titelseite-3-2015 Den Rest des Beitrags lesen »

Eine zweite Zeugin im NSU-VS-Komplex in Baden-Württemberg stirbt

Eine zweite Zeugin im NSU-VS-Komplex in Baden-Württemberg stirbt.

Zur Zeit tagt im Stuttgarter Landtag der parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) »Rechtsterrorismus/NSU BW«. Er analysiert die Kontakte und Aktivitäten des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) in Baden-Württemberg und die Todesumstände der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter, die 2007 in Heilbronn erschossen wurde. Sie gilt als zehntes und letztes Opfer des NSU – wenn man den Tod des Zeugen Florian Heilig als Selbstmord verbucht.

Den Ermittlern zufolge soll sich Florian Heilig aus Liebeskummer am 16. September 2013 mit Benzin übergossen und dann selbst verbrannt haben – am selben Tag, an dem er Aussagen aus dem Jahr 2011 zum NSU wiederholen bzw. präzisieren wollte. Nach dem Willen der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Stuttgart stand der Suizid fest, bevor Ermittlungen aufgenommen und bevor sie offiziell abgeschlossen wurden. Dafür hielt ein Motiv her, das nur die »Ermittler« kannten: Liebeskummer. Man hatte dazu nicht einmal die frühere Freundin Melisa Marijanovic befragt. Aufgrund der gegenteiligen Erklärungen aus dem Kreis der Familie Heilig ermittelt man nun doch »nach«, wie ein LKA-Mitarbeiter im PUA in Baden-Württemberg  ausführte. Man habe die ehemalige Freundin nun doch getroffen, und sie habe auch etwas gesagt: Die beiden seien insgesamt vier Wochen »zusammen« gewesen. Viel mehr könne sie zu dieser Beziehung nicht sagen. Kurzum, die Beziehung spielte in ihrem und im Leben von Florian Heilig wohl kaum eine Rolle.

Dass diese Beziehung und die Trennung keinen Liebeskummer ausgelöst haben, steht fest. Es steht aber auch fest, dass sie Antworten darauf geben könnte, warum Florian Heilig keinen Selbstmord gegangen hat. Dazu sollte sie selbst Aussagen machen, vor dem PUA in Baden-Wüttemberg. Sie tat dies in einer nicht-öffentlichen Sitzung.

Nun kommt die schreckliche Nachricht:

„Eine 20-jährige Zeugin im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ist tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Laut Berichten der Deutschen Presseagentur soll es sich um die Ex-Freundin von Florian H. handeln. Er soll Informationen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gehabt haben. Der Lebensgefährte der Frau habe sie am Samstagabend mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung gefunden, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit. Die genaue Ursache für den Tod sei bislang unklar. Die Ärzte hätten das Leben der jungen Frau nicht mehr retten können. Die 20-Jährige hatte im NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart in einer nicht-öffentlichen Sitzung ausgesagt und erklärt, sie fühle sich bedroht. Bei der Toten soll es sich um eine Ex-Freundin von Florian H. handeln.“ (Spiegel vom 29.3.2015)

Dass sich  Melisa Marijanovic bedroht fühlte, hatte sie explizit gesagt. Das lag nicht daran, was sie über die Beziehung zu Florian Heilig ausführte, sondern was sie nicht sagte, was sie möglicherweise noch sagen könnte. In welche Gefahr  sie sich begab, war dem PUA in Baden-Wüttemberg bekannt. Dieser weiß, was sie hinter verschlossenen Türen gesagt hat. Er weiß auch, welche „politischen Implikationen“ mit ihrer Person verbunden sind.

Wenn man Aufklärung betreiben will, schützt man Zeugen. Wenn man Zeugen, wie Florian Heilig nicht schützt, sondern denunziert, dann setzt man deren Leben aufs Spiel. Der PUA in Baden-Wüttemberg hatte genug Informationen, dies nicht zu wiederholen. Jetzt ist Melisa M. tot. Ihr Wissen nicht.

Wolf Wetzel

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2013, 2. Auflage

Am 31.3.2015 erscheint in der Tageszeitung Junge Welt der Beitrag:

Dritte NSU-Zeugin tot

Zweifel an Polizeiversion – Wenn Mord die wahrscheinlichere Todesursache ist

Zweifel an Polizeiversion
Suizid aus Liebeskummer? Der Neonaziaussteiger Florian Heilig wollte mit Ermittlern über den NSU sprechen. Am Tag der geplanten Aussage starb er in einem brennenden Auto

Wolf Wetzel | Tageszeitung Junge Welt vom 3.3.2015

Vorspann

Am 2. März 2015 wurden Vater und Schwester von Florian Heilig im parlamentarischen Untersuchungsausschuss/PUA in Baden-Württemberg gehört. Die ehemalige Freundin Melisa M. soll in einer nicht-öffentlichen Sitzung einvernommen werden. Dabei wird hoffentlich nicht nur ihre Sicht auf die Trennung zur Sprache kommen, sondern auch die ›politischen Implikationen‹, die eine weitaus größere Rolle spielten, als Herzensangelegenheiten.

 

Fast eineinhalb Jahre lang war der Tod eines wichtigen Zeugen im NSU-VS-Komplex, der sich acht Stunden vor seiner polizeilichen Befragung selbst verbrannt haben soll, kaum eine überregionale Meldung wert. Wie in den vielen Jahren der Mordserie der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) zuvor auch, begnügte man sich mit der Version der Polizei und Staatsanwaltschaft. Über die Todesumstände des Florian Heilig am 16. September 2013 in der Nähe des Festgeländes am Cannstatter Wasen in Stuttgart hieß es da zum Beispiel:

»Die am Montag abend durchgeführte Obduktion ergab, dass ein Fremdverschulden oder ein Unfallgeschehen nahezu ausgeschlossen werden kann. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei haben ergeben, dass der junge Mann das Fahrzeug vermutlich selber in Brand gesteckt hat. Die Hintergründe für den Suizid dürften im Bereich einer persönlichen Beziehung liegen.«

Nicht viel später fiel das »nahezu« weg:

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