Interview mit Jens Wernicke für RT

Nach über zweijähriger Verweigerung brach die Angeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe heute ihr Schweigen. Warum? Welche Strategie verfolgt sie mit ihrer Aussage und warum hat Zschäpe bis jetzt geschwiegen? Steht die Aussage in einem Zusammenhang zum NSU-Verfassungsschutz-Komplex? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke im Vorfeld des heutigen Prozesstages exklusiv für RT Deutsch mit dem NSU-Experten Wolf Wetzel

Herr Wetzel, vor einiger Zeit erklärte Beate Zschäpe, nun doch im NSU-Prozess aussagen zu wollen. Vielerlei Dinge sorgten seitdem dazu, dass es zu dieser Aussage bis heute nicht kam. Wie bewerten Sie als Beobachter diese Entwicklung? Und was wird von Zschäpes angekündigter Aussage zu erwarten sein?

Mit Sicherheit hat es die Anklagevertretung in helle Aufregung versetzt – und dieser hat man daraufhin viel Zeit gegeben, sich darauf vorzubereiten. Dass Zschäpe sich vom Schweigen bislang etwas erhofft hatte, das offenbar nicht eintraf, weswegen sie nun das Schweigen brechen will, ist offensichtlich. Auch klar ist, dass sie nicht „alles“ und auch nicht zu „allen Anklagepunkten“ etwas sagen wird, wie das bisher in den Medien behauptet wird. Vielmehr wird sie ihrer neonazistischen Gesinnung treu bleiben und weitere „Kameraden“ nicht verraten.
Aber sie könnte die bereits baufälligen Säulen der Anklage gänzlich zum Einsturz bringen, wodurch ihre Drohung, jetzt auszusagen, auch soviel Gewicht erlangt. Dazu reichte es etwa aus, glaubwürdig zu sagen, was sie über den Tod der beiden NSU-Mitglieder weiß, welche Pläne sie hatten und ob sie – wie die Anklage ja behauptet – wirklich ihre Wohnung angesteckt hat. Von besonderem Sprengstoff wäre, wenn sie auch Auskunft darüber geben würde, mit welchen V-Leuten sie in der Zeit des Untergrundes Kontakt hatte. Und das wäre dann auch schon mehr als genug …
Sie gehen also sicher davon aus, dass der Verfassungsschutz in den NSU-Terror verstrickt ist ….

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Beate Zschäpe und „Das Schweigen der Lämmer“

Beate Zschäpe hat sich mit der Entscheidung, sich im November 2011 ›freiwillig‹ zu stellen, gleichzeitig fürs Schweigen entschieden. Ein Schweigen, das sie selbst im Prozess in München – bis jetzt – aufrechterhalten hat. Sich dort nicht zu verteidigen, kann man nicht mit Dummheit erklären. Sie hat sich offensichtlich Vorteile davon versprochen, die sie mit ihrem Schweigen heute nicht mehr gewahrt sieht. Wie man sich dieser Vorteile sicher sein kann, steht sicherlich auf einem anderen Blatt.
Die Erklärung soll 70 Seiten umfassen. Das ist mehr als eine kleine Einlassung. Warum läßt sich das Gericht damit soviel Zeit? Warum wird sogar der Prozess ausgesetzt? Dass der neue Rechtsanwalt Urlaub mache und deshalb eine Verschiebung der Erklärung notwendig mache, ist mehr als dürftig. Zu oft hat das Gericht viel begründeter Anträge (gerade auch der Nebenanklage) abgeschmettert bzw. nicht zugelassen. Es geht also darum, dem Gericht, vor allem der Generalbundesanwaltschaft Zeit zu verschaffen, sich auf diese Erklärung vorzubereiten.
Dass diese Erklärung sehr viel enthalten könnte, die zentrale Anklagepunkte in sich zusammen fallen lassen würde, ist mehr als evident. Sie sind längst – auch ohne die Einlassung von Beate Zschäpe – Gegenstand der neuen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Berlin und Thüringen. Es geht dort um die Frage, ob der NSU aus drei Mitgliedern bestanden habe (die sogenannte Trio-Version), um die massiven Zweifel an dem einvernehmlichen Selbstmord der beiden NSU-Mitglieder in Eisenach 2011 und um die Frage, ob Beate Zschäpe tatsächlich ihre Wohnung in Zwickau selbst in Brand gesetzt hatte.

Beate Zschäpe soll sich laut Anklage in der Wohnung in Zwickau aufgehalten habe, als sie vom Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erfahren hatte. Der Campingwagen, im dem die beiden NSU-Mitglieder tot aufgefunden wurden, war voll mit Utensilien, die auf eine lange Reise hinweisen. Niemand verstaut Geld aus Banküberfällen in einem Campingwagen, um damit einen weiteren Banküberfall zu machen. Da die polizeilichen Ermittler dazu schweigen, wäre Beate Zschäpe derzeit die einzige, die die zentralen Fragen beantworten könnte: Was hatten sie vor, welche Pläne verfolgten sie? Wie hat sie von deren Tod erfahren? Wer hat sie darüber informiert? Und was wußte sie über die Ereignise und Umstände, die in einem Selbstmord gemündet haben sollen?
Ich bin mir auch ohne Beate Zschäpe Einlassungen sicher, dass der Selbstmord die unwahrschenlichste Todesurasache ist. Dazu habe ich bereits sehr viel geschrieben. Geht man also von der viel plausibleren Möglichkeit aus, sie hat vom gewaltsamen Tod ihrer ›Kameraden‹ erfahren, dann hatte sie allen Grund dazu, um ihr eigenes Leben zu fürchten. Das naheliegendeste wäre also gewesen, zu fliehen, an einen sicheren Ort – ganz egal, vor wem sie Angst hatte bzw. Angst haben mußte. Sie hatte dazu vier Tage Zeit. Sie hatte Alias-Papiere, sie hatte umfangreiche Kontakte zu vielen Neonazi-Strukturen in der ganzen Bundesrepublik, ob es sich dabei um ›Blood & Honour‹ oder um KKK-Strukturen handelte. Und sie hatte zahlreiche Kontakte ins Ausland, nach Südafrika zum Beispiel. Das heißt: sie hätte die vier Tage nutzen können, ins Ausland abzutauchen, sich einer drohenden Festnahme zu entziehen. Dieses Szenario ist natürlich nur gültig, wenn man den polizeilichen und staatanwaltschaftlichen Ermittlungen Glauben schenkt, dass man keine heiße Spur zu den abgetauchten Neonazis gehabt habe, geschweige denn von der Existenz des NSU gewußt haben will.
Wenn Beate Zschäpe diese Möglichkeit nicht genutzt hatte, dann muss sie davon ausgegangen sein, dass eine Flucht nicht möglich ist. Wer und was könnte also eine solche Flucht aussichtslos machen?

Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2015/3. Auflage

 

 

Der Verfassungsschutz ist ein Schattenreich – Interview mit Prof. Hajo Funke

»Der Verfassungsschutz ist ein Schattenreich«

Gespräch mit Hajo Funke. Über den Staat im Staate, die drei internationalen Terrornetzwerke im Dunstkreis des NSU und eine junge Polizistin, die vielleicht zuviel wusste
Sie gelten seit Jahrzehnten als Experte für rechtsextreme Gruppen und Ideologien. Wie hat sich seit Bekanntwerden des »Nationalsozialistischen Untergrunds« im November 2011 Ihre Sicht auf den Staat und die Geheimdienste verändert?
Ich bin über das Ausmaß des Schweigens, der Vertuschung und der partiellen Beteiligung zutiefst erschüttert. Ich wusste das so nicht. Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz waren mir allerdings aus der Zeit der Studentenbewegung bekannt. Da gab es in Berlin einen Provokateur, der Teilen der Bewegung Sprengstoff geliefert hat. Insofern wusste ich, dass der Verfassungsschutz eine verfassungswidrige Agenda haben und im Grunde die Verfassung gefährden kann. Aber ich habe das beiseite geschoben. Wir haben sogar in der NGO »Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt« in Oranienburg punktuell mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet – von uns aus, wenn wir Fragen hatten oder wenn die Fragen hatten, die wir, ohne zu denunzieren, beantworten konnten.

Und inzwischen raten Sie von jeder Zusammenarbeit ab?
Im Moment ist es eine Katastrophe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist nicht zur Aufarbeitung bereit. Es blockiert die Aufklärung, zum Schaden derjenigen, die bedroht werden. So, wie dieser Geheimdienst derzeit aufgestellt ist, schwächt er die Sicherheit in Deutschland. Weil er wichtige Informationen nach wie vor zurückhält, weil man in vielen Fällen nicht weiß, ob er sie weitergibt, ob er Gewalt zulässt – oder sogar selbst für die Radikalisierung der Täter mitverantwortlich ist.

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Zweifel an Polizeiversion – Wenn Mord die wahrscheinlichere Todesursache ist

Zweifel an Polizeiversion
Suizid aus Liebeskummer? Der Neonaziaussteiger Florian Heilig wollte mit Ermittlern über den NSU sprechen. Am Tag der geplanten Aussage starb er in einem brennenden Auto

Wolf Wetzel | Tageszeitung Junge Welt vom 3.3.2015

Vorspann

Am 2. März 2015 wurden Vater und Schwester von Florian Heilig im parlamentarischen Untersuchungsausschuss/PUA in Baden-Württemberg gehört. Die ehemalige Freundin Melisa M. soll in einer nicht-öffentlichen Sitzung einvernommen werden. Dabei wird hoffentlich nicht nur ihre Sicht auf die Trennung zur Sprache kommen, sondern auch die ›politischen Implikationen‹, die eine weitaus größere Rolle spielten, als Herzensangelegenheiten.

 

Fast eineinhalb Jahre lang war der Tod eines wichtigen Zeugen im NSU-VS-Komplex, der sich acht Stunden vor seiner polizeilichen Befragung selbst verbrannt haben soll, kaum eine überregionale Meldung wert. Wie in den vielen Jahren der Mordserie der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) zuvor auch, begnügte man sich mit der Version der Polizei und Staatsanwaltschaft. Über die Todesumstände des Florian Heilig am 16. September 2013 in der Nähe des Festgeländes am Cannstatter Wasen in Stuttgart hieß es da zum Beispiel:

»Die am Montag abend durchgeführte Obduktion ergab, dass ein Fremdverschulden oder ein Unfallgeschehen nahezu ausgeschlossen werden kann. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei haben ergeben, dass der junge Mann das Fahrzeug vermutlich selber in Brand gesteckt hat. Die Hintergründe für den Suizid dürften im Bereich einer persönlichen Beziehung liegen.«

Nicht viel später fiel das »nahezu« weg:

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Redebeitrag von Thomas Moser in Pforzheim 23. Februar 2014

Vorne NSU-Terror – hinten Verfassungsschutz – Zwei Seiten

derselben Medaille

Wo steht dieses Land?

Als vor zwei Jahren ein rechtsradikales Terrortrio aufgedeckt wurde, das mindestens zehn Menschen ermordet haben soll, war die große Frage: Wie konnte das geschehen? Wie konnten die Sicherheitsbehörden derart versagen? Am 23. Februar 2012, exakt vor zwei Jahren, versprach die Bundeskanzlerin Aufklärung. Doch was wir seither durch den Exekutivstaat erleben, ist eine unfassbare Verhinderung der Aufklärung.

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Ohne Himbeersahnetorten wird es keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss/PUA in Baden Württemberg geben

Ohne Himbeersahnetorten wird es keinen parlamentarischen

Untersuchungsausschuss/PUA in Baden-Württemberg geben

Obwohl sich Pannen, Falschaussagen, Unterschlagung von Beweismitteln, Anweisung zur Manipulation von Beweismitteln (wie im Fall Günther Stengel/LfV), Sabotage der Aufklärungsarbeit, willkürliche Zeugenbewertungen, vorgetäuschte Ahnungslosigkeit im Kontext der Terror- und Mordserie des NSU auch in Baden-Württemberg meterhoch auftürmen, wehrt sich die aktuelle rot-grüne Regierung mit Händen und Füssen gegen die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses/PUA.

Warum hat ausgerechnet eine rot-grüne Landesregierung so viel Angst vor ein wenig Demokratie? Warum deckt eine rot-grüne Landesregierung das ›Versagen‹ der Vorgängerregierung? Was hält also Regierung und Opposition zusammen?

Himbeertorte

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Der 1001. Zufall oder Beihilfe zu Mord

Der neonazistische Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006

Teil I

Im Münchner NSU-Prozeß wird der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas Temme am 1. Oktober 2013 befragt: „ Vor gut einem Jahr wurde Temme bereits im Untersuchungsausschuß des Bundestags zur NSU-Mordserie befragt. Dort wurde ihm die Aussage des damaligen Leiters der polizeilichen Sonderkommission vorgehalten, er müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas gehört oder gesehen haben. Hessens damaliger Innenminister Volker Bouffier (CDU) hatte direkte Fragen der Polizei an den Verfassungsschützer unterbunden, von dem später bekannt wurde, er habe wegen seiner mutmaßlichen Affinität zu rechtem Gedankengut im Bekanntenkreis den Spitznamen »Klein Adolf« getragen (…) Im Münchner NSU-Prozeß ließen die Angehörigen von Halit Yozgat bereits durch ihre Nebenklagevertreter erklären, daß es ihnen »nicht um ein bestimmtes Strafmaß im Falle einer Verurteilung geht, sondern vor allem darum aufzuklären, warum die angeklagten Taten in dieser Weise geschehen konnten und auch, welchen Anteil staatliche Stellen daran haben«. (Junge Welt vom 30.9.2013)

Es ist zu hoffen, dass Nebenklage und Verteidigung diese Gelegenheit nutzen…

Der NSU-Prozess – der Pannendienst – und der Teufel… steckt im Detail

Der NSU-Prozess hat begonnen… teuflische Zustände

Am 6. Mai 2013 wurde der bereits verschobene NSU-Prozess eröffnet und gleich wieder verschoben.

Nachdem die Generalbundesanwaltschaft und das OLG München den Nationalsozialistischen Untergrund/NSU auf ein überlebendes Mitglied minimiert hatten, drehte sich zu Prozessbeginn alles um Beate Zschäpe:

»Die Staatsfeindin Nummer 1 trägt einen schwarzen Hosenanzug, die weiße Bluse lässig über der Hose. Schwarze Halbschuhe, große silberne Creolen in den Ohren. Das Haar offen und vom Gefängnis-Friseur für 10 Euro kastanienbraun getönt, schlendert sie um 9.55 Uhr in den Gerichtssaal A 101, die Arme vor der Brust verschränkt.« (Der Teufel hat sich schick gemacht, Bild).

Als hätten alle Medienvertreter ganz freiwillig verstanden, platzierte man sie auf dem Laufsteg der Berichterstattung: Beate Zschäpe von hinten, von vorne, von der Seite. Alle durften empört sein, alle durften maßlos enttäuscht sein: Eine Nazifrau darf keinen schwarzen Hosenanzug tragen – so die einhellige Kleiderordnung der medialen Öffentlichkeit.

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Der NSU ist hiermit aufgelöst – kurzer Prozess… Bericht

Der Nationalsozialistische Untergrund/NSU wird hiermit aufgelöst.

Kurzer Prozess… Bericht

Alles auf...gelöst

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Staatsterrorismus – who stand behind NSU?

Staatsterrorismus – who stand behind NSU?
Eine Begleittext zur Dokumentation „Gladio“ aus dem Jahr 2010, die am 1.11.2012 in 3SAT um 22.15 Uhr nochmals ausgestraht wurde.
Fassen wir in groben Zügen zusammen, was man bisher über den Nationalsozialistischen Untergrund/NSU weiß:

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