Von Georg Büchner bis NoTroika?

Von der Georg-Büchner-Initiative 2010 bis zu Notroika 2012

Die Georg-Büchner-Initiative, eine Finanzzentrale in Frankfurt für einen kompletten Arbeitstag zu blockieren, liegt knapp zwei Jahre zurück. Nun wird ein neuer Anlauf gestartet, von guten Absichten zu wirksamen Taten zu kommen.
Das ›Um’s Ganze‹-Bündnis rief für den 31. März 2012 zu einer Demonstration in Frankfurt auf, die zur Baustelle der Europäischen Zentralbank/EZB führen sollte.
Für Pfingsten 2012 plant das NoTroika-Bündnis, in der sich viele Gruppen befinden, die auch die Georg-Büchner-Idee mitgetragen haben, eine ähnliche Aktion: »Wir werden am 18. Mai den Geschäftsbetrieb der Banken in Frankfurt blockieren, um unsere Wut über die Troika-Politik konkret werden zu lassen.« (http://european-resistance.org – http://notroika.linksnavigator.de)


Auch aus Bremen kommt ein Aufruf, am 17. April 2012 die Deutsche Bank für 24 Stunden zu belagern: »Die Deutsche Bank ist einer der ganz großen Akteure im globalen Landgrabbing-Geschäft, hinzu kommt, dass die Deutsche Bank mit Investitionen von knapp 5 Milliarden US-Dollar die Nummer 1 unter den Nahrungsmittelspekulanten auf den Weltfinanzmärkten ist. Das Geldhaus hat somit ganz wesentlich zur Explosion der Lebensmittelpreise in den letzten Jahren beigetragen… Mit unserer Belagerung möchten wir insofern einen Beitrag dazu leisten, die Deutsche Bank einmal mehr unter Druck zu setzen. Denn der spekulative Handel mit Land und Lebensmitteln ist angesichts einer Milliarde Hungernder schlicht und
ergreifend menschenverachtend, er gehört prinzipiell abgeschafft …« (Aufruf und mehr: http://www.afrique-europe-interact.net/index.php? article_id=622&clang=0)

Eine gute Gelegenheit, auf die Georg-Büchner-Initiative unter folgenden Gesichtspunkten zurückzublicken: Welche inhaltlich strittigen Fragen wurden vor knapp zwei Jahren aufgeworfen? Welche praktischen Schwierigkeiten gab es damals? Wie stehen die Chancen heute?

Ausgangslage
Als der Vorschlag kam, im März 2009 zu Großdemonstrationen unter dem Motto ›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹ aufzurufen, lehnte die Gewerkschaftsspitze eine Unterstützung mit der Begründung ab, das sei alles viel zu früh. Die Gewerkschaftsbasis und viele linke Gruppierungen riefen dennoch dazu auf: Was für die Gewerkschaftsspitze viel zu früh war, war für über 40.000 Menschen gerade richtig: Auf der Demonstration in Frankfurt beteiligten sich ca. 20.000 Menschen, in Berlin wollen die VeranstalterInnen noch mehr gezählt haben.

Inhaltlich reichte das Spektrum von einer sympathischen Verweigerungshaltung bis zur grundsätzlichen Systemkritik. Praktisch und realpolitisch herrschte danach in allen politischen Spektren bleierne Stille. Man überließ den Herrschenden das Tempo, die Richtung, die Schlagzeilen und wartete in banger Ohnmacht auf das, was kommen musste.
Ein Jahr später, am 12.6.2010 fanden unter demselben Motto zwei Großdemonstrationen in Stuttgart und Berlin statt. Bei vorsichtiger Schätzung waren zusammen ca. 40.000 Menschen auf der Straße, etwa genauso viele wie im Jahr zuvor. Bei nüchterner Analyse kein Erfolg, sondern Ausdruck politischen Stillstandes, was die Zahl der TeilnehmerInnen, vor allem aber, was die Ziele solcher Demonstrationen anbelangt. Vor einem Jahr ahnte man, wer für die Kapitalverbrechen in Billionen Höhe zahlen wird. Das Verarmungsprogramm für das ›letzte Drittel‹ lag in der Luft, jedoch noch nicht auf dem Tisch. Während die politische Klasse ihnen Fahrplan einhielt und ihrem Credo folgt: ›Wir lassen immer andere für unsere Krise bluten‹, drehten sich die Demonstrationen im Kreis gemachter Erfahrungen. Alle wissen und spüren es: Man kann noch hundert Mal auf die Straße gehen kann, Warnungen und Drohungen ausstoßen, ohne am Lauf der Dinge etwas zu ändern, solange man dieses Verarmungsprogramm kritisiert und im wirklichen Leben ausbadet.

›Die Geschichte wiederholt sich nicht und wenn als Farce‹.

Das gilt nicht nur für die politische Klasse, also auch für jede Art der Opposition. Bei aller Sympathie für Menschen, die zum ersten Mal auf einer Demonstration waren, hat diese Wiederholung etwas Komödiantisches: Das Verarmungsprogramm steht und absolviert ungestört seinen parlamentarischen Weg, während man trotzig und wirklichkeitsfremd durch die Straßen ruft: Wir bezahlen nicht für eure Krise. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man der Symbolik einen zivilgesellschaftlichen oder revolutionären Charakter gibt. Beide gehen wirkungslos denselben Weg, von A nach B, ohne eine Praxis, eine Handlungsmöglichkeit aufzuzeigen, die nicht nur etwas (ganz) Anderes fordert, sondern selbst etwas (ganz) Anderes tut.
Welche Ziele kann man mit wem und mit welchen Mitteln durchsetzen? Wie muss ein Konzept aussehen, dass die Angst vieler berücksichtigt, ohne vor ihr zu kapitulieren?

Es wird Zeit, dass sich der Wind dreht!
All diese Erfahrungen flossen in den Aktionsaufruf ein, der Mitte 2010 veröffentlicht wurde. Durch eine breite politische Akzeptanz, die Masse der Beteiligten und durch ein Konzept flexibler Blockadepunkte wollten wir die Blockade einer Finanzzentrale durchsetzen: »Wir müssen die Richtung ändern, wir müssen die Symbolik hinter uns lassen.«


Das Echo war zwar nicht atemberaubend, dennoch Grund genug, die Idee weiter zu verfolgen. Aber es gab auch eine deutliche Zurückhaltung aus dem anarchistischen und Antifa-Spektrum, die dem ›Um’s Ganze‹-Bündnis nahe stehen. Sie hatten Bedenken bis grundsätzliche Zweifel, Banken ins Zentrum einer Aktion zu stellen. Man bediene damit populistische Stimmungen, lenke von den eigentlichen Krisenursachen ab und laufe Gefahr, antisemitische Klischees zu bedienen. Obwohl wir als InitiatorInnen sehr ausführlich auf diese Bedenken und Vorwürfe eingingen, änderte dies an der Ablehnung nichts.
Dennoch kam die Idee nicht richtig vom Fleck. Nachdem wir einsehen mussten, dass wir die für unser Konzept veranschlagten 5000 plus X nicht gewinnen konnten, sagten wir die Blockade ab.

Fazit und Ausblick
»Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist«. Ein geduldiges Schlusswort … Was aber, wenn wir gar keine Zeit mehr haben? Die Blockade einer Finanzzentrale sollte an einem Arbeitstag stattfinden. Selbstverständlich hat niemand gesagt: Ich finde die Idee gut, muss aber leider arbeiten… Aber wie viele Entscheidungen, sich nicht daran zu beteiligen, waren von diesem Umstand geprägt?

Hat sich seitdem etwas geändert?
Für den 31. März 2012 rief auch das ›Ums Ganze‹ Bündnis zu einer Aktion auf, deren Ziel die (Baustelle der) Europäische Zentralbank/EZB in Frankfurt war. Abgesehen davon, dass die meisten sich daran gewöhnt haben, Parolen wie ›Stilllegung der EZB‹ nicht ernst zu nehmen, wundert man sich schon! Schließlich war die Kritik aus den Reihen des ›Ums Ganze‹ Bündnisses an der Georg-Büchner-Initiative besondern heftig und alles andere als läppisch. Hat sich deren Kritik in Luft aufgelöst? Was ist an dem Demonstrationsziel Europäische Zentralbank anders?
Wenn wir nicht nach dem Motto verfahren: Was interessiert mich mein Gerede von gestern, haben wir uns gemeinsam an dem zu messen, was wir einmal gesagt haben. Das setzt voraus, dass wir unsere theoretischen Annahmen und Vorgaben nicht nur an anderen, sondern auch an der eigenen Praxis messen. Dann würden wir realisieren, wie schwer es (für alle) ist, zwischen einer ›verkürzten Kapitalismuskritik‹ und dem Kampf ›um’s Ganze‹ die Füße auf den Boden zu bekommen!
Wenn wir also vom Fleck kommen wollen, und das gilt nicht nur für ›M 31‹, sondern auch für die bevorstehende Banken-Blockade des Notroika-Bündnisses im Mai, dann sind wir auch bei der Frage: Was stört den Kapitalismus wirklich? Wie könnte eine Praxis aussehen, die ihm am reibungslosen Funktionieren hindert? Wo könnte tatsächlich eine (radikale) Linke auf Dauer und perspektivisch eingreifen? Wo wäre sie zu was fähig?

Die Herzkammer des Kapitalismus ist nicht seine nationalstaatliche Verfasstheit, sondern die tagtägliche Rendite, die aus jeder Form von Lohnarbeit herausgepresst wird. Wer Antikapitalismus nicht nur als Ideologiekritik begreift, wird dort eingreifen müssen und die Frage beantworten müssen: Warum ist die radikale Linke dort seit Jahrzehnten weder organisiert, noch einflussreich? Wie kann man diese Abwesenheit überwinden? Es gehört zum guten Ton, all den anderen (zu recht) Duckmäusertum, Lauheit und Sozialpartnerschaft vorzuwerfen. Was ist der Unterschied zwischen denen, die es nicht anders wollen (oder gar verdienen) und denen, die nichts anderes tun?
Bei aller Liebe für brillante Ideologiekritiken: Sie beweisen sich nicht im Diskurs, sondern in einer Praxis, die dem Kapitalismus Schaden zufügen kann, die ihm etwas abtrotzen kann. Der materielle Schaden, den eine antikapitalistische Demonstration selbst mit maximalen Forderungen und Parolen anrichtet, ist in aller Regel Null. Wenn z.B. die Vorfeldlotsen mit ihrem Streik im Februar 2012 am Frankfurter Flughafen für neun Tage den Flughafenbetrieb massiv störten, dann entsteht ein Schaden von mehreren Millionen Euro. Ein Schaden, der dazu führte, dass der Flughafenbetreiber nun zu etwas bereit ist, was er vor dem Streik als völlig illusorisch zurückgewiesen hatte.
Es gibt aber auch außerhalb von Lohnarbeitsverhältnissen Möglichkeiten, in die Verwertungskette einzugreifen. Genau dort, wo das Produkt die Fabriktore, den Schreibtisch verlässt, wo der Mehrwert realisiert werden muss, durch und im Verkauf. Dabei spielt es keine Rolle, ob man eine Bank blockiert, einen Konzern oder eine Wissensfabrik bestreikt. Wenn man also im Mai Banken blockiert, dann geht es nicht um eine symbolische Handlung, die nur auf das Eigentliche verweisen möchte, sondern um die materielle Wirkung einer Blockade, die im besten Fall die Verwertungskette für diese Zeit unterbricht bzw. stört.
Die Frage stellt sich auch hier, wie sich aus einer zeitlich begrenzten Kampagne eine dauerhafte Perspektive entwickeln lässt.
Wenn wir uns in diesem Sinne auf den Weg machen würden, wäre die Gretchenfrage: Was ist verkürzte Kapitalismuskritik, was ist der Kampf um’s Ganze tatsächlich Schnee von gestern.
Wenn man also im April und Mai Banken blockiert, dann geht es nicht um eine symbolische Handlung, die nur auf das Eigentliche verweisen möchte, sondern um die materielle Wirkung einer Blockade, die im besten Fall die Verwertungskette für diese Zeit unterbricht bzw. stört.
Die Frage stellt sich auch hier, wie sich aus einer zeitlich begrenzten Kampagne eine dauerhafte Perspektive entwickeln lässt.
Wenn wir uns in diesem Sinne auf den Weg machen würden, wäre die Gretchenfrage: Was ist verkürzte Kapitalismuskritik, was ist der Kampf um’s Ganze tatsächlich Schnee von gestern.

Wolf Wetzel
Vorabdruck aus dem Buch:

Aufstand in den Städten
Krise, Proteste, Strategien
Wolf Wetzel (Hg.)
ca. 250 Seiten Broschur, ca. 16 Euro
Unrast Verlag Münster
ISBN: 978-3-89771-522-6

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