Ein Rückblick anlässlich des 25 jährigen Jubiläums (1986 – 2011)
1985 sollte mit dem Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage/WAA samt einer MOX-Brennelemente-Fabrik in Wackersdorf begonnen werden. 1989 wurde das Projekt eingestellt, über 10 Milliarden Mark in den Sand gesetzt.
Lag es an den ›bürgerkriegsähnlichen Zuständen‹ Pfingsten 1986, als über 40.000 AtomkraftgegnerInnen den ›Bauplatz zur Wiese‹ (Slogan der Anti-AKW-Bewegung) machen wollten?
Anfang der 80er Jahre wurde öffentlich, was generalstabsmäßig vorbereitet wurde. Eine atomare Wiederaufbereitungsanlage sollte in Wackersdorf/Oberbayern gebaut werden. Man hatte sich dieses strukturschwache Gebiet mit Bedacht ausgesucht: Die OberpfälzerInnen galten als extrem staatsloyal, in der Mehrheit wählten sie schwarz, summa summarum hielt man sie für blöd.
Eine große, moderne Fabrik, mit vielen schönen Arbeitsplätzen versprach man. Eine Anlage, die absolut sauber und extrem ungefährlich sei, ein Traumfabrik also, in einer Gegend, wo sich Igel und Hase Gute Nacht sagen.
Eigentlich lief alles nach Plan. Die CSU war dafür, die SPD war auch dabei, schließlich galt und gilt für das Atomprogramm ein Allparteienkonsens.
Es ging um sehr viel. Mit dieser atomaren Anlage sollte ein Atomkreislauf geschlossen werden, an dessen Anfang die Nuklearfabriken Alkem/Nukem in Hanau standen, in denen die Brennelemente hergestellt wurden, über die Hochtemperaturreaktoren/HTR und den Schnellen Brüter in Kalkar, die damit bestückt wurden, bis hin zur Wiederaufbereitungsanlage/WAA, von wo aus alles wieder von vorne beginnen sollte.
All das hatte mit der ›friedlichen‹ Nutzung der Atomenergie nichts zu tun. Um Atomkraftwerke zu betreiben, eine militärische Nutzung auszuschließen, werden Atomkraftwerke mit schwach radioaktivem Material bestückt.
Die Hochtemperaturreaktorlinie arbeitete hingehen mit hoch radioaktivem Uran-Plutonium-Material, also mit atomarem Brennstoff, der für den Bau von Atombomben benötigt wird. Genau dies sollte der Atomwaffensperrvertrag verhindern, den auch die BRD unterschrieben hatte. So sollte die Gefahr der Proliferation gebannt werden, also die friedliche Nutzung der Atomenergie als Schutzschild für die Produktion von waffenfähigem Material.
Dass diese Reaktorlinie mit der atomaren Wiederaufbereitungsanlage/WAA in Wackersdorf als letztes Glied alle nationalen und internationalen Verträge brach, war unübersehbar. Die WAA war auf die jährliche Produktion von 5.000 kg hoch angereichertem, also waffenfähigem Plutonium ausgelegt.
Alle Vorwürfe in diese Richtung wurden offiziell als haltlos zurückgewiesen, während einige Politiker unverblümt zu Protokoll gaben, „dass eine militärische Nutzung des bundesdeutschen Atomprogramms möglich und wünschenswert ist.“ (Bundesdrucksache Nr. 104699 vom Januar 1986, zit. nach: Bayern im Herbst, Herbstaktionen gegen den atomaren Wahnsinn, Herausgeber ›Trägerkreis Herbstaktionen gegen den atomaren Wahnsinn – Keine WAA‹ ). Eine Vorgehensweise, die man heute dem Iran vorwirft – und gegebenenfalls mit Waffengewalt stoppen will.
All das stand in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 80er Jahre vor seiner Vollendung.
Viel schneller als gedacht und geplant, wuchs der Widerstand in der Region rund um Wackersdorf. Zum einen scherten örtliche SPD-Landräte aus, wie der Landrat in Schwandorf, Hans Schuierer, der gegen das ›Lügenpaket‹ Wiederaufbereitungsanlage Sturm lief und die Seite wechselte.
Zum anderen gerieten die OberpfälzerInnen völlig aus der gewohnten Bahn. Das dauerte seine Zeit, wie überall, wo sich soziale Bewegungen gegen Großprojekte formierten.
»Fünf Jahre haben wir gebetet und appelliert«, resümierte eine Hausfrau in dem sehenswerten Dokumentarfilm ›Spaltprozesse‹, der die Wandlung von staatsgläubigen Bauern zu rebellischen Bürgern eindrucksvoll nachzeichnet. Nachdem das erste und zweite Hüttendorf auf dem geplanten Gelände gewaltsam geräumt wurden, nachdem zahlreiche Demonstrationen verboten oder mit brutalem Polizeieinsatz zerschlagen wurden, reichte es ihnen.
Für Pfingsten 1986 wurde bundesweit mobilisiert, mit dem klaren Ziel, die Wiederaufbereitungsanlage zu verhindern. Nachdem das Gelände gerodet war, errichtete man einen Sicherheitszaun, der als unüberwindbar gelobt und gepriesen wurde. Der Bau der Atomanlage stand also unmittelbar bevor.
Die Mobilisierung lief auf Hochtouren und viele bereiteten sich auf dieses Vorhaben gewissenhaft vor. Spezialmetallsägeblätter wurden besorgt, besondere Bügelsägen mussten getestet werden, damit sie durch das enge Gitter passten.
Da man mit massiven Polizei-Kontrollen rechnete, wurde vieles Tage zuvor in der Nähe des WAA-Geländes deponiert. Das aller meiste geschah nicht hinter dem Rücken der OberpfälzerInnen, sondern mit deren aktiver Hilfe. So wurde eine Flex samt Stromaggregat dank der Ortskenntnisse Einheimischer im Wald versteckt, ebenso Schutzkleidung, da man mit massivem Tränengaseinsatz rechnen musste.
Der Tag selbst war für viele eine Überraschung – in jeder Hinsicht. Fast 40.000 AtomkraftgegnerInnen fanden sich rund um das WAA-Gelände ein. Die Polizei hatte wie erwartet weiträumig Kontrollstellen eingerichtet, doch die Polizeieinsatzkräfte vor Ort waren hinter dem Zaun, auf dem Gelände postiert. Offensichtlich glaubte man den vollmundigen Bekundungen der Firma, die den Sicherheitszaun installiert hatte, und setzte alles auf die zahlreichen Wasserwerfer, die eine Demontage des Zauns verhindern sollte. Doch weder die Wasserwerfer konnten die Sägearbeiten am Zaun unterbinden, noch hielt der hochgelobte Zaun den teuren Sägeblättern stand.
Zahlreiche gut organisierte Gruppen arbeiteten entlang des Zaunes an seiner Durchlässigkeit. Man wechselte sich ab, arbeitete in Schichten, ließ sich die Augen und den Mund auswaschen und machte weiter. Zwischen den ›gemeingefährlichen Chaoten‹ und den ›braven BürgerInnen‹ herrschte große Übereinstimmung.
Alle machten das, was sie/er konnte. Es fehlte an nichts: Bauern, die mit Wasserflaschen die Augen ausspülten, Bürger, die Essen bereithielten, Oberpfälzer, die Steine sammelten, um die Polizei auf dem Gelände auf Distanz zu halten.
Nach knapp zwei Stunden waren an zahlreichen Stellen zwei Meter große Löcher im Zaun. Damit hatten weder die Polizeiführung, noch die Beteiligten gerechnet.
Jetzt musste man nur noch den Bauplatz besetzen und die dort postierten Polizeihundertschaften zum Verlassen des Geländes auffordern. Dafür war niemand vorbereitet. Die Angst, die Polizei könnte ein Massaker anrichten, war größer als das Zutrauen, einen Traum wahr zu machen. Einige wenige zwängten sich durch die herausgeschnittenen Löcher, die meisten blieben gebannt davor stehen, zumal die Tränengasschwaden, die kaum noch abzogen, das Atem zur Qual machten.
Die Polizeiführung gab den Befehl an die Hundertschaften, das Gelände zu verlassen. Die Tore wurden geöffnet und Hundertschaften quollen heraus und machten Jagd auf alles, was nicht schnell genug war. Auch von außerhalb des Geländes rückten Hundertschaften nach und in wenigen Minuten verwandelte sich alles in ein Schlachtfeld. An wenigen Stellen igelten sich Hundertschaften ein, bildeten mit ihren Schildern eine Schutzburg, an anderen Stellen stoben sie auseinander und nahmen Rache. Für eins, zwei Stunden glich das Ganze einem Hexenkessel, niemand wusste, wo das enden sollte. Plötzlich waren Rotorengeräusche von Hubschraubern zu hören. Durch die geöffneten Schiebetüren wurden Kartuschen abgeworfen, mitten in die Menge. Weißer Qualm stieg auf, Würgegefühle folgten, das beklemmende Gefühl, bald zu ersticken.
Später erfuhr man, dass die Polizei zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands das Nervengas CN einsetzte. Das Nervengas CN erzeugt Atemnot, gefolgt von Gleichgewichts- und Orientierungssinnsstörungen, die zusammen Panik auslösen – ein Kampfstoff für Kriegseinsätze, der international geächtet ist.
Niemand wurde für diesen Polizeieinsatz angeklagt, niemand wurde für den Einsatz von CN-Kampfgas zur Verantwortung gezogen.
Für viele der damals Beteiligten hinterließen die ›Pfingsttage‹ zwiespältige Gefühle: Auf der einen Seite hatte man etwas geschafft, was man kaum für möglich hielt, auf der anderen Seite erlebten viele einen Polizeieinsatz, der selbst Tote in Kauf nahm. Ein Polizeieinsatz, der sich nicht verselbstständigte, sondern vom politischen Willen aller Atomparteien gedeckt wurde, bereit, die Schwelle zum Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu übertreten.
1989 gab die Bundesregierung bekannt, dass die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht gebaut, dass das Vorhaben ersatzlos eingestellt wird.
Ein Sieg der Antiatombewegung?
Weder die damalige noch die heutige Bundesregierung hatten jemals eine Bevölkerungsmehrheit für das Atomprogramm hinter sich. Dennoch: Pfingsten 1986, ein zweifelhafter Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die WAA in Wackersdorf steht nicht dafür, dass die Bundesregierung vor dem Willen einer Mehrheit oder gar vor dem Widerstand kapitulierte, sondern fürs Gegenteil: Der Wille, dies dennoch durchzusetzen, war ungebrochen.
Warum wurde also die WAA weder in Wackersdorf, noch anderswo gebaut?
In öffentlichen Stellungsnahmen werden drei Gründe genannt.
Als ersten Grund wurden technische Probleme angeführt. Das ist zweifellos der dümmste. Wenn ein solches Argument tatsächlich entscheidungsrelevant wäre, müßten zu aller erst alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, zumal die Wiederaufbereitungsanlage noch gar nicht in Betrieb genommen wurde.
Als zweiten Grund wurde deren fehlende Wirtschaftlichkeit genannt. Auch dieses Argument ist mehr als fadenscheinig, denn das Atomprogamm in Gänze würde sich wirtschaflich nicht lohnen, wenn alle staatlichen Subventionen eingerechnet werden würden, wenn Atomkraftbetreiber tatsächlich für mögliche Risiken haften müßten – einschließlich der Endlagerung atomarer Abfälle.
Das letzte Argument hebt auf den SuperGAU in Tschernobyl ab, auf die weiter schwindende politische Unterstützung in der Bevölkerung für den Atomkurs. Tatsächlich erlebte die Antiatombewegung nach Tschernobyl einen zweiten Frühling. Hunderttausende gingen auf die Strasse, um das Ende des Atomprogrammes zu fordern. Selbst wenn man annehmen würde, dass die damalige Bundesregierung ausnahmsweise dem Druck der Strasse nachgegeben hätte, wäre es doch naheliegender gewesen, AKWs vom Netz zu nehmen, die durch Pannen und Störungen aufgefallen sind und nicht eine Wiederaufbereitungsanlage, deren technische Beherrschbarkeit noch gar nicht widerlegt werden konnte.
Warum die Wiederaufbereitungsanlage, die noch keinen einzigen Tag in Betrieb war, aufgegeben wurde, muss andere Gründe haben.
Eingangs erwähnt, war die WAA alles andere als ein Glied in der Kette der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Das wussten nicht nur AtomkraftgegnerInnen, das wussten auch die Geheimdienste befreundeter Staaten und Geheimdienste des damaligen Ostblocks. Es spricht einiges dafür, dass im Rahmen des Anschlusses der damaligen DDR an die Bundesrepublik 1989/90, die notwendige Zustimmung der Siegermacht Sowjetunion zum ›Einigungsvertrag‹ (im so genannten Zwei-plus-Vier-Vertrag) mit der Aufgabe dieses atomwaffenfähigen Programmes verknüpft wurde.
Und wenn man die damaligen Bedenken der englischen und französischen Regierung vor einem wiedererstarkten Deutschland mitberücksichtigt, dann liegt es nahe, dass auch deren Zustimmung als Siegermächte mit der Verzicht Deutschlands auf sein waffenfähiges Atomprogramm gekoppelt wurde.
Das Aus für das gesamte waffenfähige Atomprogramm
Die Aufgabe der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde 1989 bekanntgegeben. Im gleichen Jahr wurden die Nuklearfabriken Alkem/Nukem in Hanau geschlossen, der Hochtemperaturreaktor (THTR-300) in Hamm-Uentrop stillgelegt. Das Ende für den ›Schnellen Brüter‹ in Kalkar kam 1991.
Der komplette Atomkreislauf, der zur Herstellung waffenfähigem Kernstoffes nötig ist, wurde abgeschaltet.
Ein zeitlicher Zufall, eine ungewollte Kettenreaktion? Nein.
Alles Nähere dazu wird man sicherlich von der aktuellen Bundesregierung erfahren können, die sich bekanntlich im Iran robust dafür einsetzt, dass im Schutz einer vorgeblich friedlichen Nutzung der Atomenergie kein Material für ein Atombombenprogramm erzeugt wird.
Wolf Wetzel 21.5.2011
Wer sich auf den zivil-militärischen Pfad der deutschen Atompolitik begeben möchte, sei auf auf diesen Text verwiesen: Die ungeklärten Ursachen für die weltweit größte Leukämiedichte in der Elbmarsch – ein selbst gemachtes Rätsel
05/22/2011 um 19:44
In diesem Zusammenhang sollte auch auf den noch nicht in den Archiven verstaubten Film „Zaunkämpfe“ hingewiesen werden: http://www.videowerkstatt.de/nc/oekologie/detailseite_oekologie/zurueck/oekologie/artikel/zaunkaempfe/
oder hier (weiss nicht, ob das Medienzentrum noch betrieben wird): http://www.dortmundermedienzentrum.de/atomkraft.htm
05/22/2011 um 21:17
Hallo Wolf,
du hast einen klenen und zwei kleine Fehler gemacht:
Der große Fehler:
Die Einstellung der Bauarbeiten an der WAA Wackersdorf wurde im Mai 1989 (also ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer!!!) bekannt gegeben. Die Entscheidung kann also nichts mit dem Fall der Mauer und der Deutschen Einheit bzw. den Verhandlungen dazu zu tun haben. http://de.wikipedia.org/wiki/Wiederaufarbeitungsanlage_Wackersdorf#Die_Wende_bis_zur_Einstellung_des_Baus
Zwei kleine Fehler:
Der ehemalige Landrat von Schwandorf heißt Hans Schuierer.
Erstmals in Wackersdorf angewandt wurde CS-Gas. CN-Gas war bis dahin bereits ein übliche Waffe der Polizei, die u.a. 1981 an der Startbahn West eingesetzt wurde.
05/28/2011 um 10:04
[…] AtomkraftgegnerInnen den ›Bauplatz zur Wiese‹ (Slogan der Anti-AKW-Bewegung) machen wollten? Ein Rückblick von Wolf Wetzel.Verlängerung: Barack Obama hat den "Patriot Act" – die Legitimierung für die Einschränkung der […]
06/25/2011 um 1:48
[…] zu Wackersdort und Leukämie in der Elbmarsch Der Kampf gegen die atomare WAA in Wackersdorf ….lesen Die Ursachen für die weltweit größte Leukämiedichte in der Elbmarsch […]
11/04/2014 um 4:38
[…] 1985 sollte mit dem Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage/WAA samt einer MOX-Brennelemente-Fabrik in Wackersdorf begonnen werden. 1989 wurde das Projekt eingestellt, über 10 Milliarden Mark in den Sand gesetzt. Lag es an den ›bürgerkriegsähnlichen Zuständen‹ Pfingsten 1986, als über 40.000 AtomkraftgegnerInnen den ›Bauplatz zur Wiese‹ (Slogan der Anti-AKW-Bewegung) machen wollten? -> Weiterlesen auf der Webseite von Wolf Wetzel […]